In Deutschland ist Ende August die „Verordnung zur priorisierten Abwicklung von schienengebundenen Energieträgertransporten zur Sicherung der Energieversorgung“ (Energiesicherungstransportverordnung) in Kraft getreten. Diese sieht vor, dass schienengebundene Energieträgertransporte und der schienengebundene Transport von Großtransformatoren bei Gefährdung des sicheren und zuverlässigen Betriebs der Elektrizitätsversorgung vorrangig abgewickelt werden sollen. In diesen Fällen werden andere Züge (Personen- und Güterverkehr) im Zweifelsfall warten müssen. Die Verordnung gilt vorerst für sechs Monate.
Im Folgenden werden die wichtigsten Eckpfeiler der Energiesicherungstransportverordnung in Form eines Frage-Antwort-Katalogs skizziert. Die Auswirkungen auf den Gütertransportsektor besonders in Hinblick auf die Haftungsthematik bei Verzögerungen sowie Handlungsempfehlungen werden daran anschließend erläutert.
Warum wurde die Verordnung erlassen?
Ziel dieser Verordnung ist die Sicherstellung der Energieversorgung. Durch die Priorisierung von Energieträgertransporten auf der Schiene soll insbesondere der Betrieb von Kraftwerken, Raffinerien und Stromnetzen sichergestellt werden, da anderweitige Lieferwege wie die Binnenschifffahrt aufgrund niedriger Wasserstände nur bedingt genutzt werden können.
Welche Energieträgertransporte werden bevorzugt?
Von der Priorisierung umfasst sind Transporte von Erdöl und Erdölerzeugnissen sowie von festen, flüssigen und gasförmigen Energieträgern, sonstigen Energien oder der Transport von Großtransformatoren.
Welche Strecken sind betroffen?
Betroffen sind bestimmte, in der Anlage 1 der Verordnung angeführte „Energiekorridor-Netze“, insbesondere im Rheintal und in Ostdeutschland.
Wie erfolgt die Priorisierung?
Die Priorisierung soll durch die dispositionelle Abwicklung der Züge durch das Eisenbahninfrastruktur-unternehmen erfolgen. Im Extremfall können selbst bereits vertraglich vereinbarte Zugtrassen ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zurückgenommen werden. Die DB Netz AG hat diesbezüglich bereits die Änderung ihrer Schienennetz-Benutzungsbedingungen angekündigt.
Anpassung des Lärmschutzgesetzes
Zur Gewährleistung einer stabilen Energieversorgung und aufgrund bestehender Kapazitätsengpässe auch beim Wagenmaterial dürfen sogar solche Güterwagen eingesetzt werden, die nicht mehr den geltenden deutschen Lärmschutzstandards entsprechen.
Priorisierung auch in Österreich möglich?
Derzeit sind keine Pläne zum Erlass einer derartigen Regelung in Österreich bekannt.
Haftungsausschluss
§ 5 der Energiesicherungstransportverordnung sieht ausdrücklich vor, dass Schadensersatzansprüche gegen Betreiber von Eisenbahnanlagen, die sich aufgrund von Handlungen nach dieser Verordnung ergeben, ausgeschlossen sind. Werden daher Züge auf Grund eines Energietransports nachgereiht, kann der Infrastrukturbetreiber hierfür nicht belangt werden. Der Ausschluss gilt jedoch nicht für Schadenersatzansprüche aus grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Verletzung von Pflichten dieser Verordnung.
Haftung für Verspätungsschäden
- Die grenzüberschreitende Beförderung von Gütern mit der Eisenbahn unterliegt den Bestimmungen der CIM (= einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern). Sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist, beträgt die Entschädigung bei Überschreitung der Lieferfrist gemäß Art. 33 § 1 CIM höchstens das Vierfache der Fracht. Die Dauer der konkreten Lieferfrist ist zwischen dem Absender und Beförderer zu vereinbaren, andernfalls Art. 16 § 2 CIM bestimmte Fristen vorgibt (für Wagenladungen z. B. sehen die CIM eine Beförderungsfrist von 24 Stunden je angefangene 400 Kilometer vor).
- Bei Vorliegen grober Fahrlässigkeit des Beförderers finden die Haftungsbeschränkungen keine Anwendung. Die Beweislast für das Vorliegen eines derartigen qualifizierten Verschuldens des Beförderers trifft den Anspruchsteller.
- Soweit die Überschreitung der Lieferfrist aber durch Umstände verursacht worden ist, welche der Beförderer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht -abwenden konnte, ist der Beförderer gemäß Art. 23 § 2 CIM von der Haftung befreit. Diese Rechtsfolge tritt nur dann ein, wenn der Schaden auf einem unabwendbaren Ereignis beruht und es für den Beförderer auch durch Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falls möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich war, den Schadenseintritt zu verhindern.
- Gemäß der transportrechtlichen Rechtsprechung können insbesondere behördliche Anordnungen, die den Transport verzögern, einen derartigen „unabwendbaren“ Umstand bilden, auf den der Beförderer keinen Einfluss hat und für dessen Folgen der Beförderer nicht haftet.
- Ähnliches kann auch für Verspätungsschäden aufgrund der Nachreihung von Zügen aufgrund priorisierter Energietransporte gelten (wenngleich Rechtsprechung hierzu derzeit noch nicht besteht).
- Allerdings wird vom Beförderer künftig wohl auch verlangt werden, derartige Verzögerungen bei der Strecken- und Zeitplanung vorab zumindest in gewissem Umfang miteinzukalkulieren, insbesondere auf den von der neuen Verordnung betroffenen Energiekorridor-Netzen. Andernfalls kommt der Beförderer nämlich der von ihm geforderten „äußersten, nach den Umständen des Falls möglichen und vernünftigerweise zumutbaren Sorgfalt“ nicht nach und haftet diesfalls nach wie vor für den Verspätungsschaden.
Empfohlene Maßnahme
Spediteuren und EVU ist vorsorglich zu empfehlen, einen vertraglichen Haftungsausschluss für Schäden aus der Priorisierung von Energietransporten in Deutschland (z. B. in den Geschäftsbedingungen) vorzusehen, wenngleich zur Zulässigkeit einer solchen vertraglichen Regelung derzeit noch keine Rechtsprechung besteht. Empfehlenswert ist, den Auftraggeber über drohende oder eingetretene Verzögerungen ehestmöglich zu informieren und Weisungen von diesem zur weiteren Vorgehensweise einzuholen.