Welche Akzente wollen Sie bei Siemens Mobility setzen?
Um auch in Zukunft die besten Köpfe für uns zu gewinnen, setze ich mich für einen Kulturwandel ein. Wir wollen schneller, hierarchisch flacher und bereichsübergreifender zusammenarbeiten. Auch die Weiterbildung der Mitarbeiter ist zentral. Die hauseigene Forschung und Entwicklung sowie vertiefte Partnerschaften, z. B. mit der TU Graz werden sicherstellen, dass wir auch in Zukunft technologisch führend bleiben.
Ihre Auftragsbücher sind voll. Welche Fahrzeuge werden in Österreich produziert?
In Wien werden moderne U-Bahn-Garnituren für Sydney, London, München und Wien entwickelt, die meisten produzieren wir auch im Wiener Werk. Außerdem bauen wir die neuen Night- und Railjets für die ÖBB an diesem Standort. Graz ist unser Weltkompetenzzentrum für Fahrwerke und hat einen Exportanteil von mehr als 90 Prozent. Dieser wichtige Bauteil ist entscheidend für die Sicherheit und auch den Fahrkomfort aller Schienenfahrzeuge – von Straßenbahnen über Metros bis zu Reisezugwagen oder Hochgeschwindigkeitszügen.
In allen Bereichen spielen Innovation und Forschung eine entscheidende Rolle: Wir setzen auf Leichtbaumethoden, sparen Gewicht und Material ein und erzielen dennoch bessere Ergebnisse. Unsere Kunden profitieren von geringeren Betriebskosten über den gesamten Lebenszyklus. Insgesamt möchte ich eine Lanze für die heimische Bahnindustrie brechen: Österreich ist ein Bahn-Land.
Welche Beiträge kann Siemens Mobility zur Digitalisierung der Bahnen leisten?
Vor uns liegen gewaltige Chancen zur Leistungs- und Qualitätsverbesserung. Wir können ganz neue Themen adressieren und zum Beispiel gesicherte digitale Funksysteme und den vollautomatisierten Zugverkehr umsetzen. Mit DS3 digitalisieren wir die Bahninfrastruktur, sie ist auch bei der österreichweiten Streckenausstattung mit ETCS wichtig. DS3 ist seit mehr als drei Jahren an einem ÖBB-Bahnhof in einem Vorort von Wien problemlos im Einsatz. Ein anderes Beispiel: Wir erstellen aktuell in Serbien und Slowenien digitale Zwillinge von Eisenbahnnetzen und vereinen so erstmals Infrastruktur-, Fahrplan- und Trassenmanagement. Planungen werden umfassender und gleichzeitig leichter, auch die Betriebsabläufe sind besser organisierbar.
Das System Bahn in Europa leidet unter vielen administrativen und technischen Barrieren. Wie könnte die Interoperabilität optimiert werden?
Es gibt Nachholbedarf. In einigen Regionen Europas sind die Strecken alt oder überlastet, es gibt nur wenige Überholstrecken. Auf etwa zwei Drittel aller EU-Strecken ist noch Relaistechnik von 1900-1970 im Einsatz. Auch legislativ wäre einiges zu tun: Um die Renaissance der Nachtzüge zu fördern, wären überarbeitete Trassen-Priorisierungen im Nachtverkehr wichtig. Die Einführung des vierten Eisenbahnpakets und der zentralen europäischen Zulassungsstelle setzt hier wichtige Schritte zur Verbesserung.
Welche Trends zeichnen sich bei der Entwicklung und Produktion von Schienenfahrzeugen ab?
Zweifellos ist eine gewisse Standardisierung der Fahrzeuge ein großer Hebel, um die Kosten zu senken und in der Produktion dringend benötigte Größenvorteile zu erzielen. Dennoch braucht es auch Flexibilität, um auf nationale Besonderheiten – seien es gesetzliche Vorschriften oder technische Notwendigkeiten – und auch auf spezifische Kundenwünsche reagieren zu können. Die Mischung aus diesen beiden Aspekten ist der Grund, warum wir unsere Europa-Lok, den Vectron, schon mehr als 2.000-mal verkauft haben. Er vereint hohe Anfahrtszugkraft, hohe Anhängelast und fährt auch bis zu 230 km/h, was für den Personenverkehr wichtig ist.
Sie sind studierte Wirtschafts- und Maschinenbauingenieurin und blicken auf eine eindrucksvolle Karriere zurück. Was fasziniert Sie am System Bahn?
Es war schon immer meine Leidenschaft, technisch herausfordernde Lösungen zu suchen, um wirtschaftliche und ökologische Ziele zu erreichen. Mein Karriereweg führte mich vom Kraftwerksbau über die Erschließung alternativer Energiequellen für die Bahn bis zu meiner aktuellen Position.
Wie sehen Sie das Thema Frauen und Bahn? Sehen Sie hier Aufholbedarf?
Die gesamte Branche hat Aufholbedarf, und auch bei uns ist das aktuelle Geschlechterverhältnis noch nicht zufriedenstellend. Es gibt zwar einzelne Erfolge, z. B. waren im letzten Herbst bei Siemens Mobility in Graz immerhin schon 30 Prozent unserer neuen Lehrlinge weiblich. Trotzdem sind alte Rollenbilder noch nicht überwunden. Das ist schade, denn die großen Berufschancen und Perspektiven in Forschung, Entwicklung und Produktion der Bahnindustrie werden ganz klar von vielfältigen Teams getragen. Wir haben konkrete Ziele: Im Management streben wir einen Frauenanteil von 15 Prozent an. Bei Neuaufnahmen von Mitarbeitern, Werkstudenten und Lehrlingen wollen wir den Frauenanteil ebenfalls deutlich steigern.
Sie sind die erste Frau, die Siemens Mobility anführt. Was wollen Sie anders machen als Ihre Vorgänger?
Ich möchte vorwegschicken, dass aus meiner Sicht meine Vorgänger das Unternehmen gut geführt haben. Ich habe ein geordnetes Haus übernommen. Nach vorne blickend ist es mein wichtigstes Ziel, dass Siemens Mobility Austria auch weiterhin technisch innovativ und exzellent, besonders verlässlich und vor allem der beste Partner für die Bahnen ist. Um das zu schaffen, ist es wichtig, dass wir unser Unternehmen weiterentwickeln und stärker öffnen. Wir wollen die Eigentümerkultur fördern, und vor allem das so genannte „empowerment“ aller Mitarbeiter ist mir wichtig – und zwar unabhängig vom Geschlecht, Alter oder von sonstigen Merkmalen. Wenn ich auf diesem Weg zusätzlich Mentorin und Sparringpartnerin für Mitarbeiter sein kann, freut mich das sehr.
Welche Maßnahmen setzen Sie, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen?
Wir bieten mehr Lehrstellen an und bilden die Fachkräfte der Zukunft selbst aus. Letztes Jahr haben mehr als 70 Jugendliche in Wien und Graz gestartet, auch heuer wird die Zahl ähnlich hoch sein. Aktuell sind bei Siemens Mobility in Österreich 230 Lehrlinge in Ausbildung, die nach Abschluss einen sicheren Arbeitsplatz bei uns haben werden.