Während einer nächtlichen Ruhepause in einer Autobahnbucht in der Nähe von Mailand wurde der Transport-Lkw der Spedition überfallen und die Ware im Wert von über 100.000 Euro entwendet. Der Transportversicherer machte grobe Fahrlässigkeit des Frachtführers gem Art 29 CMR geltend und zog vor Gericht. Zu Recht?
I. Sachverhalt
Die Klägerin beauftragte die beklagte Spedition mit der Versendung elektronischer Computerkomponenten per Lkw von Österreich nach Italien.
Der Wert der Ware wurde der Spedition nicht mitgeteilt. Eine von der Klägerin behauptete Weisung an die Spedition zur Verwendung nur bestimmter Parkplätze konnte im Verfahren nicht nachgewiesen werden.
Aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen setzte der ausführende Frachtführer zwei Fahrer für den Transport ein. Bei dem verwendeten Trailer handelte es sich um einen Hardside-Trailer aus Metall, der zusätzlich durch ein spanisches Schloss gesichert war. Es handelte sich hierbei um ein massives Sicherheitsschloss aus Stahl.
Da die Entladestelle schon geschlossen hatte, mussten die Fahrer den Lkw kurz vor Mitternacht in einer Pannenbucht an der Autobahn A35 nahe Mailand parken. In der Bucht hätten zwei Lkw Platz gehabt, und es befand sich dort außerdem eine Verkehrsüberwachungskamera; eine eigene Beleuchtung war allerdings nicht vorhanden. Aufgrund der daneben liegenden Autobahn herrschte jedoch durchgehend Verkehr. Unmittelbar links von der Pannenbucht verlaufen der Pannenstreifen sowie drei Fahrspuren der Autobahn für den Fließverkehr. Auf der rechten Seite befindet sich zunächst eine (erhöhte) Leitschiene und dann ein Graben, an welchen ein Zaun und danach ein Damm mit Eisenbahngleisen anschließen. Gemäß den Feststellungen des Urteils kommt es bei Transporten in Italien des Öfteren vor, dass Lkw mangels freier Parkplätze in Pannenbuchten abgestellt werden. Beide Fahrer schliefen in weiterer Folge – ohne besondere Vorkommnisse wahrzunehmen – in der Zugmaschine.
In der Nähe der Entladestelle gibt es zwei Parkplatzanlagen für Lkw. Nähere Details zu diesen Parkplätzen und ob es sich hierbei um sichere Parkplätze handelt, konnten mangels ausreichender Beweisergebnisse im Verfahren nicht eruiert werden.
Am nächsten Morgen stellten die Fahrer fest, dass die Hecktür samt spanischem Schloss aufgebrochen und ein Teil der Ware gestohlen worden war.
II. Zum Urteil des LG Korneuburg 28. 11. 2022, 2 Cg 46/21x
Das Gericht, das sich im Urteil mit der Judikatur zu Art 29 CMR detailliert auseinandergesetzt hat, sah auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts kein grob fahrlässiges Verhalten iSv Art 29 CMR der beklagten Spedition oder des ausführenden Frachtführers verwirklicht. Aus dem Urteil:
„Mehrere höchstgerichtliche Entscheidungen setzten sich demzufolge mit der Haftung des Frachtführers im Zusammenhang mit dem Abstellen von Lkw (in Italien) auseinander. […] Der der Entscheidung 5 R 172/21g des Oberlandesgerichts Wien zugrunde liegende Sachverhalt, der einen Regress der auch hier Beklagten gegen ihren Subfrachtführer betrifft, unterscheidet sich von den gegenständlichen Feststellungen dahin, dass die Sicherheitsanforderungen der Frachtführerin an die Subfrachtführerin von dieser an die wiederum von ihr beauftragte Sub-Subfrachtführerin nicht weitergegeben wurden.
Im konkreten Fall wurde die Beklagte von der [Auftraggeberin] jedoch nicht angewiesen, noch am selben Tag zuzustellen, und es wurden ihr auch keine Anweisungen hinsichtlich der Benutzung bestimmter (bewachter) Parkplätze erteilt. Die Klägerin brachte in diesem Zusammenhang lediglich vor, die Beklagte habe der Nebenintervenientin Informationen über die Verwendung von sicheren Parkplätzen nicht weitergegeben. Dass die [Auftraggeberin] der Beklagten besondere Sicherheitsanweisungen erteilt bzw dieser die Nutzung bestimmter (sicherer) Parkplätze vorgegeben habe, brachte sie jedoch gar nicht vor. […] Den Anspruchsteller trifft jedoch die volle Beweislast hinsichtlich der Umstände, aus denen sich die qualifiziert schuldhafte Schadensverursachung durch den Frachtführer ergibt (RS0030644 [T 52]).
Konkret ist der Beklagten jedoch vorzuwerfen, dass sie als Frachtunternehmen Erkundigungen hinsichtlich der Diebstahlgefahr in Italien anstellen und ihre Mitarbeiter bzw Subfrächter entsprechend hätte informieren müssen (8 Ob 2013/96d). Es kann dahingestellt bleiben, welche konkreten Informationen sie der Nebenintervenientin erteilt hat, zumal den Feststellungen zufolge die Fahrer jedenfalls davon nicht in Kenntnis waren und diese der Beklagten zuzurechnen sind. Das fahrlässige Verhalten der Beklagten ergibt sich daher entweder in der nicht erfolgten Erkundigung und entsprechender Information bzw Anweisung der auszuführenden Mitarbeiter bzw Subunternehmer bzw, sollte eine entsprechende Information und Anweisung erfolgt sein, in der Nichteinhaltung dieser durch die ihr zuzurechnenden Subfrächter.
Im Rahmen der Beurteilung des Verschuldensgrades war jedoch aufgrund der konkreten Umstände auch zu berücksichtigen, dass ein Hardside-Auflieger aus Metall samt einem, aus mehreren Zentimetern dicken Stahl bestehenden, spanischen Schloss (zusätzliche Absperrvorrichtung, vgl 1 Ob 676/83) verwendet wurde, die Rast an einer befahrenen Autobahn mit einer Verkehrskamera erfolgte, die Pannenbucht, außer direkt von der Autobahn aus, aufgrund der Gegebenheiten (hohe Leitplanke, Graben, Zaun, Damm mit Eisenbahngleisen) schwer zugänglich war und zwei Fahrer eingesetzt wurden, die sich nicht vom Fahrzeug entfernten, sondern die gesamte Zeit darin verblieben. Insgesamt war daher zwar von einem fahrlässigen, nicht jedoch von einem grob fahrlässigen Verhalten der Beklagten auszugehen.“
III. Anmerkungen
1. Losgelöst vom gegenständlichen Fall findet sich in Transportaufträgen – oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen – häufig die generelle Verpflichtung an den Spediteur bzw Frachtführer, nur „bewachte Parkplätze“ zu verwenden.
Eine gesetzliche Definition, was unter einem „bewachten Parkplatz“ zu verstehen ist, existiert nicht. Auch besteht diesbezüglich, soweit ersichtlich, kein Handelsbrauch. Die Vorstellungen darüber, was unter einem bewachten Parkplatz zu verstehen ist, variieren daher regelmäßig.
Die Anforderungen an einen bewachten Parkplatz können viele denkbare Sicherheitsvorkehrungen umfassen, wie insbesondere:
- 24-Stunden-Bewachung durch Sicherheitskräfte
- Bewachung durch Sicherheitskräfte während eines bestimmten Zeitraums
- Umzäunung
- Umzäunung mit zusätzlichem Stacheldraht
- Schranken bzw kontrollierte Ein- und Ausfahrt
- eigenständige Beleuchtung
- Videoüberwachung der Ein- und Ausfahrt
- Videoüberwachung des Parkfelds
Mangels allgemeingültiger Definition bleibt offen, welche Eigenschaften ein „bewachter Parkplatz“ aufweisen muss, um der vertraglichen Verpflichtung zu genügen. Unklarheiten, insb im Bereich von Allgemeinen Vertragsbedingungen (AGB), gehen im Zweifel zu Lasten des Verfassers. Aus diesen Gründen empfiehlt sich, gewünschte Mindestanforderungen an den Parkplatz, wie zB eine Ein- und Ausfahrtskontrolle, ausdrücklich in die vertragliche Verpflichtung aufzunehmen.
2. Die Rechtsprechung scheint die Anforderungen an „bewachte Parkplätze“ anhand einer einzelfallbezogenen Abwägung der Gesamtumstände sowie des Wertes der Transportware zu beurteilen. Da die Beweislast für grobe Fahrlässigkeit nach Art 29 CMR beim Geschädigten liegt, hat dieser auch den Nachweis für die konkret vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen des verwendeten bzw nicht verwendeten Parkplatzes zu erbringen. Die bloß pauschale Beschreibung eines Parkplatzes in einem Privatgutachten als „sicher“ oder „unsicher“ ist hierfür grundsätzlich nicht ausreichend.
3. Vertragliche Verpflichtungen, nur „bewachte Parkplätze“ zu verwenden, werden in Transportaufträgen und AGB inzwischen standardmäßig verwendet. Oftmals wird daher derartigen Verpflichtungen von Frachtführern, va bei Transportwaren, die keinen hohen Wert besitzen, sowie bei geringem Frachtlohn, keine Bedeutung zugemessen. Dennoch sind derartige vertragliche Bestimmungen grundsätzlich wirksam und zu beachten. Soll daher eine Bestimmung zur Verwendung „bewachter Parkplätze“ keine Anwendung finden, empfiehlt sich, dieser Bestimmung ausdrücklich schriftlich zu widersprechen.