Verkehr: Frau Dobrocka, Sie wurden bereits 2017 von der Internationalen Wochenzeitung Verkehr mit dem Preis für das Logistik-Start-up des Jahres ausgezeichnet. Und im Juli 2021 haben Sie eifrig 16 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt. Was macht byrd für Investoren so attraktiv?
Petra Dobrocka: Das Geschäftsmodell von byrd ist für Investoren besonders attraktiv, da wir einen schnellwachsenden Markt, der historisch gesehen sehr kapitalintensiv und wenig skalierbar war, mit einem Asset-light-Geschäftsmodell bedienen. Mit unserer Mission, die führende E-Commerce-Fulfillment-Plattform in Europa zu werden, nimmt byrd eine zentrale Rolle im europäischen E-Commerce-Markt ein und erschließt einen attraktiven Markt.
Was macht den Erfolg Ihres Geschäftsmodells aus?
Dobrocka: Der Erfolg unseres Geschäftsmodells liegt primär in der Nutzung von Synergien aus dem dezentralen Lagernetzwerk, der Technologie sowie der Logistikexpertise unserer Partner. Unser Netzwerk sorgt für mehr Widerstandsfähigkeit in der Logistik und ermöglicht eine rasche internationale Expansion für schnellwachsende Unternehmen, da Lieferzeiten und -kosten deutlich reduziert werden können. Dadurch, dass wir den Fokus auf die Technologie legen, bieten wir mehr Transparenz und spezialisierte Fulfillment Services, die unseren Kunden das Leben erleichtern. Die Logistikexpertise unserer Partner stellt sicher, dass die operativen Prozesse im Warenlager unseren Qualitätsvorstellungen und jener unserer Kunden entsprechen.
Wie hat sich das Kontraktlogistik-Geschäft bei byrd 2021 entwickelt und haben Sie Ihre Ziele erreicht?
Dobrocka: Der E-Commerce ist in ganz Europa auf dem Vormarsch. Und durch die Auswirkungen der Pandemie hat sich das Wachstum in den letzten zwei Jahren nochmals beschleunigt. Als Folge daraus hat sich für byrd das Geschäft auch 2021 sehr positiv entwickelt und wir haben 2021 die Paketmarke von 100.000 Paketen pro Monat überschritten. Um den Zuwachs beim Paketvolumen zu bewältigen, haben wir über zehn neue Lagerstandorte an unser Netzwerk angebunden und lagern und versenden nun aus über 20 Logistiklagern in Europa. Insgesamt haben wir 2021 das Sendungsvolumen im Vergleich zum Jahr zuvor verdreifacht und wir erwarten eine ähnliche Entwicklung für 2022.
Gibt es Beispiele für herausragende Kontraktlogistik-Projekte von byrd, auf die Sie besonders stolz sind?
Dobrocka: Wir haben zwei Bereiche, die sich unterscheiden: Wir arbeiten einerseits mit Standardanfragen, die wir möglichst skalierbar und automatisiert abwickeln. Der zweite Bereich sind Ausschreibungen von größeren Unternehmen, für die wir auch eigene Konzepte entwickeln. Zwei konkrete Beispiele im Jahr 2021 waren zunächst einmal die Anbindung eines neuen B2B-Lagers für den Palettenversand für einen Großkunden aus dem Elektronikbereich. Für den haben wir neue Features in unserer Software gebaut, um die Abwicklung großer Mengen an Paletten zu ermöglichen. Das zweite Beispiel ist die Identifikation eines eigenen Gefahrgutlagers für einen internationalen Konzern im Haushalts- und Gesundheitsbereich. Für diesen Kunden haben wir für eine neue Produktgruppe im Gefahrgutbereich eine neue Lagerungsmöglichkeit erarbeitet, inklusive der Anbindung neuer Versandmethoden. Beide Projekte haben uns den Eintritt in neue Bereiche der Kontraktlogistik ermöglicht, die wir bisher nicht standardisiert anbieten konnten, aber die nun auch für alle anderen Kunden verfügbar sind.
Was sind die großen Herausforderungen in der Kontraktlogistik in Pandemie-Zeiten?
Dobrocka: Eine der größten Herausforderungen ist vor allem die fragile globale Supply Chain, die zu Verzögerungen bei den Anlieferungen von Kunden führt. Daraus resultieren Unstimmigkeiten zwischen den Prognosen und den tatsächlich erzielten Bestellvolumina. Sobald Produkte wieder lagernd und im Webshop verfügbar sind, werden diese schnell abverkauft. Das führt oftmals zu unvorhergesehenen Peaks, was wiederum eine schlechte Planbarkeit und hohe Arbeitsbelastung in den Warenlagern zur Folge hat. Wir versuchen dem durch ein starkes und dezentrales Lager-Netzwerk entgegenzuwirken, um so mehr Resilienz zu erreichen. Auf diese Weise können Bestellungen im Notfall auch über andere Standorte versandt werden. Die Corona-Pandemie provoziert Komplikationen auf der letzten Meile. Deren Netzwerke der KEP-Dienstleister sind teilweise schwer überlastet und es kam besonders im Weihnachtsgeschäft zu Verzögerungen im Versandprozess.
Mit welcher Resilienzstrategie kann byrd den Auswirkungen der Corona-Pandemie entgegenhalten?
Dobrocka: byrd kann mit seinem dezentralen Lagernetzwerk, das derzeit aus über 20 Warenlagern in Europa besteht, den Auswirkungen der Corona-Pandemie gut standhalten. Im Vergleich zu anderen Logistikanbietern am Markt bietet byrd somit deutlich mehr Resilienz und dementsprechend widerstandsfähige Fulfillment-Services für E-Commerce-Shops. Einerseits werden durch die Positionierung in fünf europäischen Ländern die Versandwege reduziert, wodurch die Zustellqualität verbessert wird. Andererseits wird durch das Fulfillment über mehrere Standorte das Servicelevel bei Ausfällen bzw. Engpässen aufrechterhalten.
Wie Outsourcing-bereit sind denn die Firmen im Handel und in der Industrie, Kontraktlogistikdienstleistungen extern etwa an byrd zu vergeben?
Dobrocka: Der Begriff von „3PL“ bzw. „Third Party Logistics“ gewinnt immer mehr an Bedeutung und zeigt, dass das Outsourcing der Logistik bzw. von Fulfillment-Dienstleistungen immer mehr an Akzeptanz gewinnt und sich auch immer mehr Unternehmen dafür interessieren. Viele E-Commerce-Händler haben inzwischen erkannt, dass es – so wie bei Payment-Systemen bzw. Shopsystemen nicht notwendig ist, eine komplett eigene Infrastruktur aufzubauen. Stattdessen greifen sie jetzt auf Plug & Play-Systeme zurück, die den Prozess deutlich erleichtern. Dasselbe passiert auch beim E-Commerce-Fulfillment, bei dem sich auch immer mehr spezialisierte Anbieter positionieren, die den Zugang zu Logistikdienstleistungen über Technologie erleichtern.
Wie präsentiert sich das Marktumfeld im Kontraktlogistik-Geschäft? Sind die Margen und Mengenentwicklung zufriedenstellend?
Dobrocka: Die Paketvolumina steigen aufgrund des boomenden E-Commerce stark an, und wir erwarten weiterhin jährlich ein rapides Wachstum bei den Auftragsmengen. Gleichzeitig bedeutet das aber im Bereich der Kontraktlogistik bzw. im Fulfillment auch, dass immer mehr Konkurrenten in den Markt eintreten, um ein Stück vom Kuchen zu ergattern. In den letzten Monaten und Jahren sind immer mehr Logistikdienstleister mit E-Commerce-Fokus in den Markt eingetreten, besonders in der DACH-Region. Und das führt zu einem stärkeren Preiskampf zwischen den Anbietern. Durch den Mangel an Arbeitskräften, die steigenden Transportkosten und die Inflation generell haben mehrere Paketdienstleister Preiserhöhungen für 2022 angekündigt. In weiterer Folge werden auch Logistikanbieter wie byrd diese Preiserhöhungen an E-Commerce-Unternehmen weiterreichen müssen. Dadurch wird der Druck auf die Margen weiter erhöht, während man sich beim Paketvolumen auf weiteres Wachstum einstellen kann.
Was sind derzeit die Trends in der Kontraktlogistik und wie stellt sich Ihr Unternehmen darauf ein?
Dobrocka: Ein deutlicher Trend, der sich in der Kontraktlogistik erkennen lässt, ist der verstärkte Fokus auf die Technologie. Einige Start-ups wie byrd konzentrieren sich auf diesen Aspekt, um den Zugang zu Logistikdienstleistungen zu erleichtern und zu digitalisieren. Somit entstehen neue Möglichkeiten, um mehr Datenpunkte zu sammeln. Dadurch können sowohl E-Commerce-Unternehmen als auch Online-Shopper von der zunehmenden Transparenz profitieren, und gleichzeitig werden Fulfillment-Prozesse optimiert. Heute spielt in der Logistik die Liefergeschwindigkeit eine entscheidende Rolle. byrd versucht mit seinem dezentralen Logistiknetzwerk mit dem Servicelevel von den E-Commerce-Giganten mitzuhalten und plant, in diesem Jahr in weitere Märkte zu expandieren, um europaweit attraktive Versandkonditionen bieten zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview erschien ursprünglich in der Ausgbe 05-06/2022.