Verkehr: Sie waren sechs Jahre Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation Global 2000. Wie haben Sie damals die Logistik bzw. den Güterverkehr wahrgenommen und welchen Stellenwert messen Sie heute diesen Bereichen bei?
Leonore Gewessler: Der Güterverkehr hat in der Corona-Krise bewiesen, dass er das Land am Laufen hält. Es war großartig, wie die Mitarbeiter in dieser schwierigen Zeit – trotz Zeitdruck und Sorge um ihre Gesundheit und die ihrer Familien – unsere Versorgung aufrechterhalten haben. Sie alle haben dazu beigetragen, dass die Menschen im Land nie ohne Lebensmittel und Medizin waren. Sie haben ermöglicht, dass Betriebe im In- und Ausland weiterarbeiten können: Das hält die Wirtschaft am Leben und sichert Arbeitsplätze. Ich denke, die letzten Monate haben viel Positives für die Wertschätzung der Branche in der breiten Öffentlichkeit bedeutet – und das ist gut so.
Wie würden Sie das Image der Transport- und Logistikbranche in der breiten Bevölkerung und im politischen Diskurs verbessern?
Gewessler: Jeder will mobil sein. Dafür brauchen wir ein Modell, dass all diese unterschiedlichen Bedürfnisse ernst nimmt. Eine kleine Gemeinde braucht zum Beispiel ein anderes Mobilitätsangebot für ihre Bewohner als ein Land mitten in Europa für seinen Güterverkehr. Ein zukunftsfähiger Standort braucht ein innovatives, effizientes und gut funktionierendes Mobilitäts- und Transportsystem. Gleichzeitig wissen wir um die Notwendigkeit, das Verkehrssystem den neuen Anforderungen anzupassen: Digitalisierung, Energieeffizienz und Dekarbonisierung im Einklang mit den Klimazielen von Paris sind unabdingbar. Gerade Menschen an Transitrouten sind auch vom steigenden Lkw-Transit sehr geplagt, die Menschen am Brenner in Tirol sind beim Thema Lkw-Transit schlicht an der Belastungsgrenze. Daher brauchen wir engagierte Umsetzungsprogramme, um Verkehr zu vermeiden, zu verlagern und zu verbessern und den Anteil des Umweltverbunds (also den Fuß- und Radverkehr, öffentliche Verkehrsmittel und Shared Mobility) deutlich zu steigern. Im Güterverkehr heißt das: smarte Logistik – und auch hier gilt: Verlagerung auf die Bahn wo immer möglich. Ich bin mir sicher, dass ein solches smartes Mobilitätssystem Akzeptanz genießen wird.
Beeinflussen die bisherigen Auswirkungen der Corona-Pandemie die Vorhaben, die Sie sich im Regierungsprogramm vorgenommen haben?
Gewessler: Das Regierungsprogramm steht zwar, aber wir diskutieren natürlich jetzt darüber, welche Maßnahmen wir aufgrund der aktuellen Situation vorziehen können. Und da sind gerade auch Klimaschutzmaßnahmen dabei, denn ich bin der Überzeugung, Klimaschutz ist das beste Konjunkturprogramm. Beispiel Infrastruktur: Wenn wir Bahninfrastruktur bauen, schaffen und sichern wir Arbeitsplätze in einer Branche, die besonders stark von der Krise betroffen ist – der Bauwirtschaft. Das ist eines von vielen Beispielen, wie man sich mit Klimamaßnahmen gegen die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftskrise stemmen kann. Bei all den Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm, die diesen doppelten Nutzen haben, werden wir jetzt diskutieren, was man verstärken kann.
Bis wann soll der angestrebte „Masterplan Güterverkehr“ ausgearbeitet sein?
Gewessler: Der Masterplan Güterverkehr gilt für Ziele und Maßnahmen zur Verbesserung des Modal Split im Güterverkehr, insbesondere durch Verlagerung auf die Schiene im Sinne der Klimaziele und in Weiterentwicklung des Logistikaktionsplans durch Schaffung eines Gesamtkonzepts, das im Ergebnis zu einer Entlastung der Bevölkerung, insbesondere entlang der Transitrouten, führt. Um den Gütertransport auf der Schiene voranzubringen, soll er finanziell attraktiver gestaltet werden und intermodale Verlademöglichkeiten sollen gesichert und ausgebaut werden, um die Effizienz des Gütertransports auf der Schiene zu steigern.
Heimische Unternehmen fordern immer wieder den Bürokratieabbau und eine Planungssicherheit bei Infrastrukturprojekten. Was wollen Sie konkret in Ihrem Einflussbereich hier in Ihrer Amtszeit voranbringen?
Gewessler: Wir haben im Regierungsprogramm vereinbart, dass umweltrechtliche Genehmigungsverfahren rasch und effizient durchgeführt werden, unter Achtung hoher ökologischer Standards und der Gewährleistung der Öffentlichkeit und Rechtssicherheit für die Projektwerber. Dazu werden wir einerseits eine zentrale digitale Kundmachungsplattform schaffen und andererseits das Instrument der strategischen Umweltprüfung in gewissen Bereichen ausbauen. Beides dient der Planungs- und Rechtssicherheit.
Im Regierungsprogramm steht, dass zukünftig mehr Güter mit der Bahn und gleichzeitig weniger mit dem Lkw transportiert werden sollen. Welche Zielwerte haben Sie sich dafür vorgenommen?
Gewessler: Wir haben im Regierungsprogramm das Ziel Klimaneutralität bis 2040 verankert. Es geht um eine ambitionierte und fortschrittliche Klimapolitik, die wir in Österreich, in Europa und darüber hinaus vorantreiben wollen. Das ist mit einem klaren Auftrag an die Verkehrspolitik verbunden. Der Mobilitätssektor soll dekarbonisiert werden. Fossile Energien sind ein Auslaufmodell. Wir stehen im EU-Schnitt mit 30 Prozent Gütern auf der Schiene nicht schlecht da, stagnieren aber seit Jahren. Unser selbstgestecktes Ziel von 40 Prozent gilt es, jetzt rasch zu erreichen.
Wenn sowohl der Personen- als auch der Güterverkehr auf der Schiene ausgebaut werden soll, wird es zu einer Konfliktsituation kommen, weil die Infrastruktur dann ihre Grenzen erreicht. Wie sehen Sie das?
Gewessler: Ich sehe keinen Konflikt, sondern eine Chance: Investitionen in die Infrastruktur lohnen sich gerade jetzt in einer Zeit, in der die Wirtschaft Impulse benötigt. Gerade solche Investitionen schaffen regionale Wertschöpfung – und regionale Arbeitsplätze. Gleichzeitig investieren wir auch massiv in den Infrastrukturausbau; der Koralm-Tunnel hat den finalen Tunneldurchschlag bereits gefeiert – das ist ein historischer Schritt, auch für den Güterverkehr.
Viele Experten bezweifeln, dass Österreich in einem großen Umfang weitere Güter von der Straße auf die Bahn transferieren kann. Wie sehen Sie das?
Gewessler: Der Bahnverkehr steht vor Herausforderungen, dazu gehört zum Beispiel eine umfassende Kapazitätssteigerung. Um diese zu bewältigen, wird in die nötige Infrastruktur investiert. Der Güterverkehr hat das große Potenzial, einen wesentlichen Beitrag für die Erreichung der Pariser Klimaziele zu leisten. Er soll energieeffizient, umwelt- und klimaschonend abgewickelt und die Chancen dieses Effizienzsprungs für den Beschäftigungs- und Wirtschaftsstandort sollen umfassend genützt werden. Der Logistik-Hub Österreich wird damit zukunftsfähig aufgestellt und gestärkt.
Lesen Sie das komplette und ausführliche Interview in der Ausgabe VK 25-30/2020.