„Die Infrastruktur ist der limitierende Faktor“, sagte Henrik Würdemann, Geschäftsführer von Captrain, einem führenden Schienenlogistikunternehmen in Deutschland. Dessen ist man sich bei der Deutschen Bahn bewusst. „Wir müssen stabile, verlässliche Kapazitäten auf der Schiene anbieten“, gab Ingrid Felipe, Vorständin Infrastrukturplanung und -projekte der soeben neu geschaffenen DB InfraGO, zu. Deshalb werde im Sommer mit der Generalsanierung des Netzes begonnen, auf der Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt am Main. Bis 2030 sollen weitere 40 stark befahrene Korridore im deutschen Streckennetz saniert werden. 4.000 Kilometer stehen zur Großreparatur an.
Baustellen bedeuten Behinderungen und Umleitungen
So notwendig die Reparatur der maroden Schienen-Infrastruktur ist, so sehr bereitet das den Eisenbahn-Logistikern aber auch Sorgen: Denn zum unbefriedigenden Zustand des Netzes kommen nun Einschränkungen und Umleitungen für zumindest die nächsten sechs Jahre. „Wir müssen eine sehr hohe Zuverlässigkeit gewährleisten, dann schafft man auch profitablen Verkehr“, sagte VTG-Manager Klaus Wessing, Head of Sales and Operations. Die aber bleibt auf absehbare Zeit weiter gefährdet. „Wir fahren derzeit bis zu 300 Kilometer Umleitungen.“
Keine Planungssicherheit
Der beklagenswerte Zustand der Infrastruktur ist nur ein Grund, warum es mit der Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene nicht vorangeht. Neben der Infrastruktur sind unterbrochene Lieferketten, unter anderem im Gefolge des Ukrainekriegs, aber auch höhere Stromkosten Ursachen dafür, heißt es beim VDV. Das bedeute keinerlei Planungssicherheit. Der Fahrermangel der nächsten Jahre könnte der Eisenbahn allerdings in die Hände spielen. Denn ein Lokomotivführer ersetzt 40 bis 50 Lkw-Chauffeure, bezogen auf die transportierte Menge.
Derzeit arbeitet die Deutsche Bahn daran, Züge von 740 Metern Länge zu befördern, also mehr Volumen in einer einzigen Sendung. Das heißt: Längere Gleisabschnitte für Überholvorgänge, Veränderung der Signalabstände und vieles mehr.
Blockzüge
BASF hat ein Netzwerk von Verladern aufgebaut, um in Antwerpen und Hamm Güterzüge zusammenzustellen, die dann als so genannte Blockzüge über weite Strecken an einen Bestimmungsort gelangen. In Leverkusen hat BASF einen eigenen Terminal, „so groß wie die Insel Manhattan“, sagte Thorsten Bieker, Vice President Bulk Logistics & Site Services der BASF SE.
Zu kleine Volumina
Wer kein solcher Wirtschaftsriese ist, der ganze Züge zwischen seinen Produktionsstandorten zirkulieren lassen kann, eventuell mit einem eigenen Verkehrsunternehmen wie BASF, hat es schwerer. „Wir haben verschiedene Anläufe mit Einzelwagenverkehr unternommen, die gescheitert sind“, räumte Christian Utsch, Geschäftsführer der Logistik in der GMS Getränke&Mehr Servicegesellschaft ein, die zur Krombacher-Gruppe gehört. Sein Unternehmen sah sich nach einem Verladestandort um. Nachteil: Die Getränkeindustrie hat eine hohe Artikel- und Lieferantenvielfalt, die Volumina sind für Bahnverhältnisse klein.
Immerhin wurde man fündig: 2019 wurde der Container-Terminal Südwestfalen in Kreuztal eröffnet. Im vorigen Jahr wurden von da zehn Wechselbehälter pro Woche nach Norderstedt gefahren, als einzelne Wagen, die in einen Güterzug eingereiht werden – wurden, denn die Verbindung ist inzwischen eingestellt, weil sie sich offenbar nicht rechnete. Nun wird wieder auf der Straße transportiert.
Schiene benachteiligt
In vielen Fällen ist die Schiene gegenüber der Straße benachteiligt: Wenn der Zug halten muss, ist dafür zu bezahlen, möchte der Lkw-Fahrer Pause machen und fährt rechts ran, kostet das nichts. „Die Straßenmaut ist abhängig vom Umfang der Beladung, bei der Bahn ist der Trassenpreis immer gleich, auch wenn der Zug halbleer ist“, klagte Captrain-Deutschland-Chef Würdemann. Soeben wurden die Trassenpreise wieder angehoben, was in dieser Situation kein einladendes Signal an die Wirtschaft ist, von der Straße auf die Schiene umzusteigen. Man müsse aber wirtschaftlich denken, verteidigt sich die InfraGO der DB.
Anschlussgleise = Handling umständlich
Außerdem bereiten die ersten und letzten Meilen besonderes Kopfzerbrechen. Anschlussgleise für Betriebe werden zwar staatlich gefördert, doch es sind noch zu wenige, das Einfädeln ins Netz der Deutschen Bahn ist vielfach umständlich. „Für die letzte Meile zu VW braucht man drei Stunden für drei Kilometer mit drei Mann“, erläuterte Würdemann.
Auf der Bremse in Sachen Digitalisierung
Digitalisierung lautet darum auch das Zauberwort im Bahnverkehr. In Europa soll die Digitale Automatische Kupplung (DAK) eingeführt werden, die künftig die Arbeit der Rangierer überflüssig machen soll. Ein Erprobungszug ist damit schon in Europa unterwegs, innerhalb weniger Jahre wäre bald eine halbe Million Güterwagen umzurüsten, doch in der EU wird nun gebremst.
„Wir brauchen Telematik, Sensorik“, forderte Julian Madsen, Strategiemanager beim internationalen Waggonvermieter GATX. „Es gibt bestehende und neue Wagen Konzepte bereits, wir müssen nur in Serie produzieren, auch in Containervariante, aber wir müssen ins Tun kommen. Mein Traum ist ein intelligenter Güterwagen, der weiß, was wann repariert werden muss.“ Es gelte, die Ausfallzeiten zu minimieren.
Klatsche vom VfGH trifft vor allem für die Bahn
Das jüngste Urteil des Verfassungsgerichtshofs, das es der deutschen Bundesregierung untersagte, die 60 Milliarden Euro zur Bekämpfung der Corona-Krise anderweitig zu verwenden, hat die für die Bahn vorgesehenen Mittel schlagartig schrumpfen lassen. „Wir können einen wesentlichen Teil unserer Vorhaben retten“, versuchte Michael Theurer, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, zu beruhigen, aber: „Das Verfassungsgerichtshof-Urteil ist natürlich eine Klatsche. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass das Urteil so hart und ohne Übergangsfristen ausfiel.“
Es sind viele Baustellen, vor denen das System Bahn derzeit steht. Einen Nachteil gegenüber der Straße wird sie aber nie ausräumen können: dass sie das weitaus komplexere System ist.