Etwa 170 Kilometer nordöstlich von Budapest errichtet der ungarische Öl- und Gaskonzern MOL ein Werk für Vorpro- dukte in der Kunststoffherstellung – eine Polyolanlage. „Für uns ist das ein Leuchtturmprojekt, in dem wir nahezu unser gesamtes Portfolio der Schwergutlogistik einsetzen können“, freut sich Peter Stöttinger, Geschäftsführer der Felbermayr Transport- und Hebetechnik. „Zusammen mit unserem Auftraggeber, der Projektabteilung der Schenker Deutschland AG, habe ich vor etwa drei Jahren mit der Entwicklung eines Logistikkonzeptes für die Petrochemie-Anlage begonnen.“ Da das Werk unweit des 20.000-Einwohnerstädtchens Tiszaújváros „auf der grünen Wiese“ gebaut wird, galt es zunächst, die nötige Infrastruktur zu planen. Dazu gehörte die Errichtung eines Schwerlastanlegers an der Theiß für die Binnenschiffe. Weiters musste eine rund 1.000 Meter lange Behelfsstraße vom Umschlagplatz bis zur nächsten öffentlichen Straße errichtet werden. Von dort waren es dann noch etwa acht Kilometer bis zum 56 Fußballfelder großen Werksgelände.
Binnenschifffahrt
Die Ausgangsorte für die Oversized-Cargos waren vorwiegend in Belgien und Italien. „Jene von Belgien wurden beispielsweise durch unser Tochterunternehmen Haeger & Schmidt mittels Binnenschiff transportiert“, sagt Stöttinger und erklärt, dass diese Transporte über das belgische Kanalsystem über Rhein, Main-Donau-Kanal und Donau meist bis zum Felbermayr-Schwergutterminal in Linz transportiert worden seien. Dort folgte nötigenfalls eine Zwischenlagerung zur Optimierung der Logistikketten. So zum Beispiel für eine Kolonne mit etwa 30 Metern Länge bei einem Durchmesser von rund acht Metern. Diese ungefähr 200 Tonnen schwere Komponente gelangte, nach einem Zwischenstopp in Linz, auf dem unternehmenseigenen Lastdrager 30 (RoRo-fähiger Schwergutleichter) auf der Donau bis zur Theißmündung nahe der Ortschaft Titel in Serbien. Ein Umweg, könnte man meinen.
Doch ein Umschlag von der Donau auf die Straße in Budapest war keine Alternative für den weiteren Transport bis Tiszaújváros – aufgrund der Dimensionen dieser Kolonne wäre ein Transport auf der Straße technisch nicht möglich gewesen. Die Zielhäfen der Komponenten mussten also entsprechend ihrer Dimensionen gewählt werden. „Straßentaugliche Transporte“ wurden in den ungarischen Donauhäfen in Gönyű und Budapest auf Tieflader umgeschlagen und direkt zur Baustelle transportiert. Das waren rund 25 Spezialtransporte. Diese wurden teils in Konvois bis zu fünf Fahrzeugen gefahren und erreichten ihr Ziel in Tiszaújváros nach mehreren Nachtetappen.
Komponenten, welche von Italien angeliefert wurden, fanden ihren Weg über den rumänischen Schwarzmeerhafen Konstanza. Via Donau und Theiß ging es weiter bis zum Umschlagplatz in Tiszaújváros.
Raupenkran mit 1.400 Tonnen Einsatzgewicht
Jene Transporte, welche auf dem Wasserweg die Baustelle erreichten, wurden für den Nachlauf nochmals umgeschlagen. Um die Hübe mit den mehrere 100 Tonnen schweren Stahlgiganten gewährleisten zu können, wurde ein LR 1750 mit Haupt- und Derrickausleger sowie Ballastwagen eingesetzt. „So ausgestattet, brachte es der Raupenkran auf ein Einsatzgewicht von rund 1.400 Tonnen“, beschreibt Stöttinger. Dadurch entstehen enorme Drücke, die in den Untergrund abgeleitet werden müssen. Eine Tatsache, die auch bei der Errichtung der Kranstellfläche bedacht wurde.
Letzte Meile
Mit dem Erreichen des temporär eingerichteten Hafens in Tiszaújváros war vieles geschafft, das Ziel aber noch nicht erreicht. Für die sprichwörtliche letzte Meile war noch einmal Klotzen statt Kleckern angesagt. So waren für die Zustellungen zwei Selbstfahrer mit jeweils 18 Achslinien und 500 Pferdestärken vor Ort. Für leichtere Komponenten bis etwa 100 Tonnen kamen Sattelzugmaschinen mit Semitiefladern und Kesselbrücken zum Einsatz. „Den Abschluss der Schwertransporte Mitte Mai machten drei Ausrüstungen mit jeweils mehreren 100 Tonnen Einzelgewicht“, nennt Stöttinger noch ein Highlight. Für diese Stahlkolosse musste auf dem Weg zum Werk noch eine Brücke statisch berechnet und unterstützt werden.
Doch dann war es geschafft – rund 100 Schwertransporte wurden in etwa fünf Monaten erfolgreich durch Europa gefahren. Trotz Niedrigwasser auf den Binnengewässern und einer Pandemie mit Grenzsperren konnte durch engagierte Mitarbeiter und einer bestmöglichen Personalplanung das Projekt zeitgerecht abgeschlossen werden. Dazu Stöttinger: „Es war eine logistische Herausforderung. Mit den Mitarbeitern von Bau-Trans Ungarn, welche die Spezialtransporte auf der Straße inklusive Genehmigungsprozedere und die Baustellenkoordination vor Ort gewährleisteten und den Spezialisten für Binnenschifffahrt von Haeger & Schmidt, haben wir qualitätsvolle Zusammenarbeit bewiesen.“ Damit wurde die petrochemische Anlage ihrer geplanten Fertigstellung im kommenden Jahr ein großes Stück näher gebracht.