Logistisch betrachtet, fing das neue Jahr für Deutschland nicht ideal an. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) rief zu einem Streik im Zuge der seit Monaten andauernden Tarifverhandlungen auf, tausende Bauern blockierten Berlin und Logistiker und Transporteure gingen auf die Straße. Deutsche Branchenverbände riefen ihre Mitglieder zur Teilnahme an den großangelegten Protesten der Landwirtschaft in Berlin am 15. Jänner auf – darunter der Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL) und der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Überraschend kurzfristig solidarisierte sich auch der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV) mit den Teilnehmern und das, obwohl Hauptgeschäftsführer Frank Huster vor Kurzem in einem Interview die Proteste noch als „unverhältnismäßig“ bezeichnete. Die Forderungen der Lokführer und der Landwirte sind unterschiedlich, immerhin geht es den Landwirten um Subventionskürzungen (unter anderem auf Agrardiesel), die ihre Kollegen auf der Schiene nicht betreffen. Beim Stichwort Diesel werden aber auch die Motive der Logistiker und Transporteure, sich an den Demos zu beteiligen, deutlicher. Immerhin hat sich die deutsche Bundesregierung mit der Erhöhung der Maut-Gebühren und dem CO2-Aufschlag wenige Freunde gemacht. Die Verbände fordern daher klarerweise unisono die Abschaffung der Doppelbelastung durch Mauterhöhung und CO2-Aufschlag auf den Diesel, eine effiziente Förderung für die Einführung alternativer Antriebe sowie Investitionen in Straße und Schiene.
Auswirkungen auf den Schienenverkehr in Österreich
Die Lokführer, die einen harten Streit mit der Deutschen Bahn (DB) ausfechten, fordern indes von der DB bessere Arbeitsbedingungen, eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich und einen Tarifvertrag für Fahrdienstleiter. Claus Weselsky, Bundesvorsitzender der GDL, hat bereits mit einem weiteren „längeren und härteren“ Streik gedroht. Wann dieser kommen soll, ist noch unklar, denn Weselsky hat keine konkreten Daten genannt. Er wolle sich aber zwischen den beiden Streiks nicht allzu viel Zeit lassen, ließ er in einem Interview wissen. Die Auswirkungen auf den Personen- und Güterverkehr in Deutschland werden drastisch sein. Aber auch Österreich wird die Folgen spüren. „Verzögerungen und Zugausfälle können leider nicht ausgeschlossen werden. In der ersten Phase wird nur die DB Cargo bestreikt, das heißt, hier sind Kunden der RCG vor allem im Einzelwagenverkehr betroffen. In der zweiten Phase wird auch die Infrastruktur bestreikt und daher sind dann auch Ganzzugverkehre, die wir überwiegend selbst oder mit Drittpartnern produzieren, betroffen“, erläutert Clemens Först, Vorstandssprecher der ÖBB Rail Cargo Group. Das Unternehmen stehe aktuell in einem intensiven Austausch mit seinen Kunden, um die Lage zu evaluieren und die Auswirkungen der Streiks zu minimieren.
Nicht alle in gleichem Maß betroffen
Nikolaus Hirnschall, Geschäftsführer des Kombi-Operators Roland Spedition, blickt auch besorgt auf die Situation. „Streiks wirken sich erheblich auf unsere Zugsysteme aus, da auch zum Beispiel Stellwerke bestreikt werden. Dies führt dann zu Zugausfällen. Nach dem Ende der Streiks treten massive Rückstaueffekte auf und es dauert einige Zeit, bis der Standardfahrplan wieder gefahren werden kann.“ Als Alternative kann Roland direkte Lkw-Fahrten anbieten, bahnseitige Alternativen mit zusätzlichen Sonderzügen nach dem Streik sind meist nicht möglich, da hierfür keine Bahntrassen zugesagt werden.
Entspannter blickt man auf die Situation am Wiener Container-Terminal WienCont. „Da an unserem Standort derzeit fast ausschließlich private Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) tätig sind, die auch in Deutschland entweder selbst fahren oder andere privat EVU als Partner einsetzen, spüren wir nur geringe Auswirkungen der aktuellen Bahnstreiks“, berichtet Monika Gindl-Muzik, Geschäftsführerin von WienCont.
Andere Logistik-Sektoren sind auch, wenngleich weniger hart, von den Streiks und Demonstrationen betroffen. Dafür wirken sich aber die Gründe für die Demonstrationen – nämlich die hohe Maut – deutlich auf das Geschäft aus. „Wr sind im Bereich KEP tätig und sind nur bedingt von den Auswirkungen der Streik-Situation betroffen. Aber die Maut-Erhöhung hat natürlich Auswirkungen auf die Preise, die dadurch gestiegen sind“, sagt Thomas Bissels, Country Manager Austria bei LetMeShip. Und wenn es doch eine Streik-Auswirkung geben sollte, bietet das Unternehmen seinen Kunden Möglichkeiten, aus der Situation herauszukommen, angefangen von Expressdienstleistungen bis hin zu Direktfahrten. „Gerade in diesen schwierigen Zeiten sind unsere alternativen Dienstleistungen wichtig und sehr gefragt“, sagt Bissels.
Ausfälle nicht nur aufgrund von Streiks
„Streiks sind nur eine der vielfältigen Ursachen für eine große Zahl an Zugausfällen, die wir seit über einem Jahr verzeichnen“, sagt Gindl-Muzik und spricht damit ein für Deutschland schmerzhaftes Thema an: die leidige Infrastruktur. „Deutschland hat jahrzehntelang zu wenig in das Netz investiert. Das war ein Fehler, der lässt sich nicht mehr ändern. Die Politik hat aber erkannt, dass sie nachholen muss. Das führt natürlich zu einem erhöhten Bauaufkommen“, sagt Först. Besonders der Streckenabschnitt zwischen Hannover und Hamburg steht sehr im Fokus, merkt Hirnschall an.
„Kurzfristig stellt die hohe Anzahl an Bauarbeiten eine Herausforderung dar. Wir arbeiten eng mit anderen EVU zusammen, um geplante Bauarbeiten auszusteuern, indem wir über Alternativrouten fahren und unsere Ressourcen – vor allem im Personal-Bereich – an die daraus resultierenden Abweichungen anpassen“, so Först.
Bahn-Unternehmen haben in der Regel (mindestens) einen Plan B, denn Umleitungsverkehre, Mangel an geeigneten Trassen für Regelzugsysteme gehören zum Alltag. Weitere Einschränkungen ergeben sich durch drastische Kapazitätsprobleme und auch Streiks in den deutschen Häfen, die Zugausfälle und Abweichungen von den Regelfahrplänen zur Folge haben, wie Gindl-Muzik erklärt.
Aktuell stellt aber auch die Unpaarigkeit der Verkehre eine große Herausforderung dar und diese Situation wird durch die längeren Seelaufzeiten über das Kap der guten Hoffnung – aufgrund der Lage im Roten Meer – erheblich erschwert, so Hirnschall. „In Summe hat der Kombi-Verkehr zwischen Deutschland und Österreich mit mangelnder Attraktivität der Performance gegenüber der Straße zu kämpfen, die in vielen Fällen auch preislich die Nase vorn hat“, sagt Gindl-Muzik.