Verkehr: Herr D‘Agostino, was haben Sie aus den Krisen der letzten Jahre gelernt?
Zeno D‘Agostino: Pläne für die Zukunft beruhen auf den Erfahrungen der vergangenen beiden Jahre. In der gesamten Welt hat sich die Art und Weise, wie Logistik verstanden und gehandhabt wird, dramatisch verändert. Vor der Covid-Pandemie hatten wir es mit einer Lieferkettenstrategie zu tun, die auf dem Just-in-time-Prinzip aufgebaut war. Die Pandemie hat uns mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, vor allem was die menschliche Arbeitskraft in der Industrie, den Häfen, Dry Ports und Logistikzentren anbelangt.
Als sich die Wirtschaft dann Anfang 2022 langsam erholt hat, war die neue Strategie der internationalen Supply Chain Manager, die Lieferketten wieder sicherer zu machen und die lokalen Lagerbestände deutlich aufzustocken. Somit hatten wir es bis etwa zur Mitte des Jahres mit größeren Mengen an Rohmaterialien, aber auch an Komponenten und Fertigprodukten zu tun – und dann kam der Einbruch, einerseits aufgrund des Kriegs, den Russland gegen die Ukraine führt, und andererseits, weil die Lager wieder entsprechend gefüllt waren. Die Adriahäfen konnten zwar von der unsicheren Situation im Schwarzen Meer etwas profitieren, wir müssen aber trotzdem unser Geschäftsmodell so anpassen, dass wir auch den Hafen krisensicherer machen.
Verkehr: Sie beobachten die globale Lage und reisen viel herum. Welche Trends erkennen Sie?
D‘Agostino: Wir beobachten, dass die ungesunde Abhängigkeit der fertigenden Industrie von nur einem einzigen Lieferland reduziert wird. Das Gleiche gilt für den Energiesektor, in dem bei den Lieferanten ebenfalls diversifiziert wird. Lieferketten werden kürzer und regionaler. Dual sourcing ist aktuell der neue Trend, bei dem immer zumindest ein alternativer Lieferant verfügbar sein soll. Davon profitieren zum Beispiel Länder wie die Türkei, Ägypten oder Marokko mit ihrer Nähe zu Europa. Aber auch Vietnam und die Philippinen in Asien sind Standorte, die für die fertigende Industrie interessant sind.
Verkehr: Wie werden sich diese globalen Trends auf den Hafen Triest auswirken? Und wie reagieren Sie darauf?
D‘Agostino: Wir müssen unser Angebot – also nicht nur den Hafen selbst, sondern das gesamte Logistiksystem drum herum – an diese neue Situation anpassen. Wir brauchen also nicht nur die eigentlichen Hafenanlagen mit einer intermodalen Anbindung, sondern auch Logistikhallen für das wachsende Lageraufkommen und eine Sonderwirtschaftszone (free zone) mit speziellen Konditionen für Lager und Fertigung. So hat British American Tobacco zum Beispiel seine Fertigung für den mediterranen Raum von Asien nach Triest verlegt.
Ich sage dazu immer: Die Zukunft eines Hafens ist nicht der Hafen. Damit meine ich, dass man – wenn nicht außerhalb der eigentlichen Hafeninfrastruktur in ergänzende Wirtschaftszweige investiert wird – als Hafen keine Zukunft hat. Dafür muss man genau die Entwicklungen im Bereich der Logistik analysieren, um dann zusätzliche Dienstleistungen in sein Portfolio integrieren zu können. Ich glaube, dass wir hier einen guten Job gemacht haben, denn viele der Investitionen, die wir in den letzten Jahren getätigt haben, passen hervorragend zu dieser neuen Situation.
Verkehr: Welche Investitionen meinen Sie da konkret?
D‘Agostino: Wir haben beispielsweise zusätzliches Gelände und neue Lagerhallen dazugekauft und auch eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet. Wir haben auch erkannt, wie wichtig es für unsere Kunden ist, dass das gesamte Angebotsportfolio an unterschiedlichen Dienstleistungen aus einer Hand kommt. Diese „one-stop-shop“-Lösung, bei der nur ein einziger Ansprechpartner alle logistischen Anforderungen wie Warentransport und Warenumschlag per Schiff und Bahn, Lagerhaltung und Produktionsflächen abdecken kann, wird vor allem von großen internationalen Unternehmen eingefordert. Und das können wir in Triest alles anbieten. Ich finde, das ist eine smarte Lösung, die der Veränderung der Kundenbedürfnisse sehr entgegenkommt.
Verkehr: Was sind in Bezug auf diese Strategie jetzt die nächsten Investitionen?
D‘Agostino: Wir investieren in nächster Zeit vor allem außerhalb der eigentlichen Hafenanlagen. Wir planen einen neuen Trockenhafen, wir kaufen und sanieren neue Logistikhallen. Wir müssen aber auch das traditionelle Paradigma brechen, dass ein Hafen eine reine Logistikdrehscheibe darstellt. Ein Hafen kann in Zukunft auch viel mehr sein, wie zum Beispiel ein Technologiezentrum oder ein Hub für verschiedene Energieträger.
Wir können mehr sein als ein Energieverbraucher, wir können auch zu einem Energieproduzenten werden – gerade in Zeiten neuer umweltgerechter Energieformen. Wir investieren daher zusammen mit dem Hafen Koper in ein Joint Venture für eine neue schwimmende Offshore-Photovoltaikanlage. Wir mögen zwar im Transportsektor Mitbewerber sein, sind dann im Energiesektor aber Kooperationspartner. Die meisten Häfen weltweit haben Platzprobleme. Das Meer selbst kann aber zum Raum für Expansion werden. Es bietet beispielsweise die Möglichkeit für Datenkabel oder Datenzentren unter Wasser. Wenn man allerdings bei dem historisch bedingten Denkansatz bleibt, dass die Wettbewerbsfähigkeit eines Hafens ausschließlich etwas mit dem Laden und Entladen von Schiffen zu tun hat, dann macht man meiner Meinung nach einen großen Fehler.
Vielen Dank für das Gespräch!