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Beschlagnahme eines Lkw bei Kriegsausbruch in der Ukraine – wer haftet für den Schaden?

Foto: Felix Lang
Rechtsanwalt Wolfgang Motter (li.) und Vincent Bretschneider (Head of Legal bei der Bundesagentur Austria Tech) sind Experten auf dem Gebiet des Verkehrs-, Transport-, Speditions- und Logistikrechts und schreiben regelmäßig Rechtskommentare über aktuelle Themen für Verkehr.
Foto: Felix Lang

Muss der Frachtführer zahlen, wenn die Ware ihr Ziel nicht erreichen kann? Wolfgang Motter und Vincent Bretschneider kommentieren den Ausgang eines aktuellen Verfahrens vor dem LG Innsbruck.

von: Vincent Bretschneider und Wolfgang Motter

Ein Transport von Italien nach Russland endete abrupt, als der Lkw samt ­Ladung am Tag des Kriegsausbruchs in der Ukraine be­schlagnahmt wurde. Nun soll der Frachtführer für den entstandenen Schaden von ca. 42.000,– Euro aufkommen. Doch muss er das wirklich? War dies ein unabwendbares, unvorhergesehenes Ereignis? Oder hätte der Frachtführer die Transportroute vorab doch anders planen müssen? Handelt es sich hierbei um ein Versäumnis in der Planung oder einfach um eine Folge unglücklicher Umstände?

I. SACHVERHALT
Ein tschechischer Frachtführer wurde beauftragt, Ware von Italien nach Russland zu befördern. Die Route führte von Italien über Slowenien nach Ungarn, wo der Lkw in den frühen Morgenstunden des 24. Februar 2022 die ukrainische Grenze erreichte. Nach Abschluss des ungarischen Zollverfahrens passierte der Lkw den ukrainischen Zoll und setzte dann am Vormittag seine Fahrt durch die Ukraine fort. Am selben Tag erfolgte die russische Invasion der Ukraine, was auch zur Beschlagnahme internationaler Transporte durch die ukrainischen Behörden führte, einschließlich des Lkw des tschechischen Frachtführers.
Die Klägerin warf dem beklagten Frachtführer eine grob fahrlässige Routenplanung vor und erklärte, dass der Frachtführer eine Route über Weißrussland hätte wählen müssen. Das Risiko eines militärischen Konflikts zwischen der Ukraine und Russland und damit einhergehend auch das Risiko einer Beschlagnahme der Ware durch die beteiligten Länder (Ukraine und Russland) sei dem beklagten Frachtführer bestens bekannt gewesen.
Der beklagte Frachtführer hingegen bestritt die Forderung und brachte vor, dass der tatsächliche Kriegsausbruch auch für die Weltöffentlichkeit völlig überraschend kam. Gemäß Art 17 Abs 2 CMR handle es sich bei der Beschlagnahme bei Kriegsausbruch um ein unabwendbares Ereignis. Die russische Invasion erfolgte zudem auch über Weißrussland. Im Übrigen hatte sich die Klägerin zuvor auch nie gegen die Routenführung durch die Ukraine ausgesprochen, sondern die schnellere und günstigere Route durch die Ukraine stets in Kauf genommen.

II. ZUM URTEIL DES LG INNSBRUCK 23. 3. 2024, 66 Cg 35/23 h
Das Landesgericht Innsbruck gab dem beklagten Frachtführer in erster Instanz Recht, wies das Klagebegehren ab und begründete dies u. a. wie folgt: „Tatsächlich war der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. 2. 2022 so nicht zu erwarten. an die allgemein bekannten, fassungslosen Reaktionen der Weltöffentlichkeit darf erinnert werden. Es gab vor dem 24. 2. 2022 insbesondere auch keinerlei Anzeichen dahingehend, dass es zu Beschlagnahmen von internationalen Transporten kommen würde. Dass sich dies am 24. 2. 2022 plötzlich drastisch änderte, konnte der Geschäftsführer der Beklagten [Frachtführerin] trotz Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falls möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht vermeiden und die Folgen nicht abwenden. […] Die Route über die Ukraine ist ca. 280 bis 300 km kürzer und somit auch schneller und mit weniger Spritverbrauch verbunden als jene über Weißrussland. Außerdem ist die Benützung der Straßen in der Ukraine kostenlos. Dadurch konnten die Transporte über die Ukraine günstiger angeboten und abgewickelt werden als über Weißrussland. Anfang 2022 haben sich die Preise von Transporten nach Russland nahezu verdoppelt, zumal die Wartezeiten an den Grenzen und dadurch die Transportdauer und die Dauer der ­Inanspruchnahme von Fahrer und Fahrzeugen immer länger wurden. […] Die klagende Partei bestand auf den Transport und erteilte den Auftrag ohne jegliche Einschränkung und in Kenntnis dessen, dass der Großteil der Transporte, die über die Beklagte [Frachtführerin] abgewickelt wurden, durch die Ukraine fuhren. Warum die Beklagte [Frachtführerin] von sich aus – sie hatte der klagenden Partei gegenüber ja keinen Wissensvorsprung – eine längere und noch kostenintensivere Route hätte wählen sollen, kann nicht nachvollzogen werden. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beklagten [Frachtführerin] der Entlastungsbeweis gemäß Art 18 Z 1 CMR gelungen ist und die beklagte Partei als Frachtführerin aufgrund des Vorliegens eines Haftungsausschlusses des Art 17 Z 2 CMR von der Haftung befreit ist. Das Klagebegehren war daher abzuweisen.“

III. ANMERKUNGEN
Im vorliegenden Fall hat das Gericht die Beschlagnahme des Lkw samt Ladung am Tag des Kriegsausbruchs als unabwendbares Ereignis bewertet. Es ist allerdings fraglich, ob diese Rechtsprechung auf zukünftige ähnliche Schadensfälle bei Transporten durch die Ukraine anwendbar ist. Dies liegt daran, dass seit dem Kriegsausbruch vor mehr als zwei Jahren anzunehmen ist, dass die mit Transporten verbundenen Risiken sowohl den Spediteuren/Frachtführern als auch den Absendern mittlerweile bestens bekannt sind und weder als überraschend noch als unabwendbar argumentiert werden können.
Überdies ist darauf hinzuweisen, dass Transport- und Verkehrshaftungsversicherungen („CMR-Versicherungen“) Schäden aus kriegerischen Ereignissen regelmäßig nicht decken und sohin bei Transporten durch die Ukraine Versicherungslücken bestehen können.


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