Ob Einzelwagen, Wagengruppen oder Ganzzüge: Wagenladungsverkehre auf der Schiene sind eine wirtschaftliche und nachhaltige Alternative zum Straßentransport. Damit die Bahn ihre Vorteile gegenüber dem Lkw ausspielen kann, muss allerdings massiv in die Schieneninfrastruktur investiert werden. Das sind zentrale Ergebnisse der Referentenvorträge und Teilnehmerdiskussionen auf dem 17. BME-/VDV-Forum Schienengüterverkehr (SGV). Nachdem die zweitätige Fachveranstaltung 2023 den Schwerpunkt auf die Erschließung der Zukunftsmärkte für die Bahn richtete, hieß ihr diesjähriges Motto „Einzelwagen, Wagengruppen und Ganzzüge – ohne Wagenladungsverkehre keine Klimawende!“
Unzureichendes Angebot im Kombinierten Verkehr
„Der Multimodale Verkehr/KV steht zwar im Fokus der Verkehrsverlagerungsstrategie der Politik. Allerdings gibt es kein ausreichendes Angebot im KV für Lieferketten und Flächenbedienung im Binnenverkehr“, kritisierte Gerhard Oswald, Geschäftsführender Gesellschafter/Managing Partner der Gomultimodal GmbH. Als Beispiele für derzeitige Defizite nannte er Konsumgüter, temperaturgeführte Produkte und Halbfertigprodukte. Zudem würden wichtige Wirtschaftsräume nur mangelhaft bedient und seien schlecht miteinander verknüpft.
Intelligente Transportmodelle erforderlich
Hohe Leistungsansprüche der Verlader in Bezug auf Auswahl, Verfügbarkeit, Qualität und Liefertermine brächten die Logistik- und Transportbranche an ihre Grenzen. Die Praxis zeige, dass die hohen Leistungsansprüche nicht mehr allein mit den heutigen Transportmodellen im Landverkehr zu erfüllen seien. Im Kurz- und Mittelstreckenbereich (60 bis 300 Km) „braucht es neue intelligente Verkehrs- und Transportmodelle, die einerseits wirtschaftlich kalkulierbar und andererseits auch zeitnahe umgesetzt werden können“, so Oswald weiter.
EWV als eigentlich gute Alternative …
Christian Utsch, Geschäftsführer Logistik der GMS Getränke & Mehr Servicegesellschaft mbH, informierte über die Vorteile der intermodalen Einzelwagenverkehre (EWV) als wirtschaftliche und nachhaltige Alternative zum Straßentransport. Diese seien auch für kleinere Verlader ohne eigenen Gleisanschluss und unzureichendes Potenzial für Ganzzüge interessant. EWV seien die „richtige Antwort auf den Fahrermangel sowie gestiegene Lkw-Maut und Dieselpreise“. Zudem seien sie „politisch und gesellschaftlich gewollt und sinnvoll“. Utsch: „Der intermodale Einzelwagenverkehr bietet Chancen zur Verkehrsverlagerung, wenn das Ziel die Weiterentwicklung zu Warengruppenverkehren und Ganzzügen ist, die Verlader bereit sind, den steinigen Weg bis zum ersten Transport zu gehen und es seitens der Schienengüterverkehrsunternehmen wirklich gewollt ist.“
Der Haken …
„Der Einzelwagenverkehr ist mit einem Anteil von ca. 18 Prozent neben dem Ganzzugverkehr und dem Kombinierten Verkehr eine tragende Säule im Schienengüterverkehr“, teilte Jörg Stephan, Ministerialrat und Referatsleiter im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, mit. Der EWV erfülle mit mehr als 1.400 Zugangsstellen zum Schienennetz eine wichtige Grund- und Netzfunktion, auch im grenzüberschreitenden SGV. Aufgrund der hohen Betriebskosten sei der EWV aktuell überwiegend nicht wirtschaftlich durchführbar. Erst mit zunehmender Digitalisierung und Automatisierung des SGV sei perspektivisch eine höhere Effizienz und Wirtschaftlichkeit im EWV erreichbar.
Update: Förderungen
Stephan informierte auch über aktuelle Entwicklungen zur Förderung von Gleisanschlüssen. Danach seien im Rahmen der Gleisanschlussförderung des Bundes im Zeitraum 2004 bis 2020 216 Förderbescheide für Gleisanschlüsse erlassen worden. Die Fördersumme habe insgesamt fast 175 Millionen Euro und die Investitionssumme rund 455 Millionen Euro betragen. Seit 1. März 2023 sei eine neue Anschlussförderrichtlinie wirksam. Staatlich gefördert würden Gleisanschlüsse, Zuführungs- und Industriestammgleise sowie multifunktionale Anlagen. Finanzielle Unterstützung gebe es für Neubau, Ausbau, Reaktivierung und Ersatz von Gleisanschlüssen, inklusive Anschlussweichen.
Schiene ist wettbewerbsfähig
„Ob große oder kleine Sendungsgröße – erfolgreiche Logistik auf der Schiene ist schnell und direkt“, so Henrik Würdemann, CEO der Captrain Deutschland GmbH, in seinem Vortrag. Die Schiene könne im Vergleich zur Straße auch bei den Faktorkosten punkten. So sei der Direkttransport mit der Bahn ab einer Sendungsgröße von etwa 250 Tonnen (entspricht fünf Wagen) konkurrenzfähig. „Bei der Annahme 100 Prozent ‚leer zurück‘ gilt diese Aussage ab etwa zehn Wagen“, fügte Würdemann hinzu. Bei kluger Verknüpfung einzelner Transportströme könne die Schiene auch bei noch kleineren Sendungsgrößen wettbewerbsfähig sein.
Die „Material-Problematik“
Auf aktuelle Herausforderungen für die Schienenlogistik ging Jörg Hilker, Managing Director der Innofreight Germany GmbH, näher ein. Dabei informierte er über den Status quo bei den Güterwagen. Diese seien oft sehr alt und lediglich für „Durchschnittsnutzung“ ausgerichtet. Güterwagen mit integrierter Entladetechnik seien komplex und „schwer“. Die Ausfallzeiten defekter Waggons seien zudem hoch.
Bahn ist Nummer eins in Sachen Klimaschutz und Elektromobilität
„Der Ausbau der Schieneninfrastruktur ist ein starkes Signal für nachhaltigen Güterverkehr“, hob Ingrid Felipe, Vorständin Infrastrukturplanung und -projekte der DB InfraGO AG, in ihrem Statement hervor. Für die von Politik und Wirtschaft angestrebte Mobilitätswende sei die Schiene unverzichtbar. Denn kein motorisiertes Verkehrsmittel sei so klimafreundlich wie die Bahn. So wiesen Güterzüge im Vergleich zum Lkw deutlich niedrigere spezifische Treibhausgasemissionen auf. Gleichzeitig sei kein Verkehrsmittel so elektromobil wie die Schiene. Diese verfüge mit mehr als 90 Prozent über den höchsten Marktanteil bei der Elektromobilität. Zum Vergleich: Die Straße komme auf weniger als ein Prozent. Eine starke Schiene bedeutet nach Felipes Angaben „eine Reduktion des CO2-Gesamtausstoßes um 10,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Das entspricht dem jährlichen CO2-Fußabdruck einer Million Menschen.“
Masterplan
Um den SGV weiter auszubauen, seien im Masterplan Schienenverkehr bundesweit zahlreiche Großvorhaben zur Erhöhung der Netzkapazität hinterlegt. Hinzu kämen ca. 70 Maßnahmen im 740-m-Netz und vier Projekte zur Elektrischen Güterbahn. Auch führe die Digitalisierung mit dem ETCS-Ausbau (European Train Control System) zu einer höheren Kapazität – ohne dass dafür neue Schienen gebaut werden müssten.
Felipe informierte auch über das geplante Hochleistungsnetz von Bund und Deutscher Bahn. Damit es erfolgreich bis einschließlich 2030 realisiert werden könne, sollen bis dahin unter anderem mehr als 4.000 km Gleise generalsaniert werden. Die Generalsanierung führe in Summe zu weniger Sperrzeiten und damit auch zu weniger Nachteilen für den SGV. Felipe: „Bei Abfolge der Generalsanierungsprojekte ist auch darauf geachtet worden, dass gleichzeitig stattfindende Generalsanierungen verkehrlich verträglich sind.“
Gleisanschluss-Charta
Die nach 2019 erstmals aktualisierte Gleisanschluss-Charta, die von 56 Verbänden und Organisationen unterzeichnet wurde, wurde auf dem 17. BME-/VDV-Forum Schienengüterverkehr an Michael Theurer und damit an das Bundesverkehrsministerium übergeben. VDV-Vizepräsident Joachim Berends kommentiert: „Seit der Erstauflage 2019 wurden bereits viele Vorschläge der Charta umgesetzt oder befinden sich in Umsetzung. Doch wir sind noch längst nicht am Ziel und es sind weitere Themenfelder hinzugekommen. 56 Unterzeichnerorganisationen unterbreiten Maßnahmenvorschläge, damit wir mit mehr und modernen Gleisanschlüssen den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken – und das Klima schützen.“
97 Maßnahmen für kundennahe Zugangsstellen
Die Gleisanschluss-Charta zielt darauf ab, den Schienengüterverkehr durch bessere Rahmenbedingungen für Gleisanschlüsse und kundennahe Zugangsstellen zu stärken. Sie soll die verkehrspolitische Diskussion auch auf die Anbindung von Zugangsstellen an das öffentliche Eisenbahnnetz lenken und konkrete Maßnahmenvorschläge für eine bedarfsgerechte Schieneninfrastruktur liefern. Die Charta verfolgt fünf Hauptziele und schlägt 97 konkrete Maßnahmen vor, um den Schienengüterverkehr zukunftsfähig zu machen und den Marktanteil der Schiene zu erhöhen. Sie befasst sich auch mit der Stärkung tri- beziehungsweise multimodaler Knotenpunkte und Umschlagterminals, um effiziente Transportsysteme zu ermöglichen.
Bürokratie abbauen
Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), betont: „Wir unterstützen die zentralen Forderungen der Charta nach Kräften. Es geht jetzt vor allem darum, Bürokratie abzubauen und Regularien zu vereinfachen. Gleichzeitig müssen die Gleisanschlussförderung verbessert, mehr Gewerbeflächen an die Schiene angebunden und neue Transportkonzepte unter Einbindung von Gleisanschlüssen geschaffen werden.“
Durchgehender Datenfluss
Chris Richter, Senior Sales Manager der Zedas GmbH, erklärt: „Übergeordnetes Ziel muss es sein, den Datenfluss ohne Störungen und Unterbrechungen in einer durchgehenden Informationskette über Unternehmensgrenzen hinweg zwischen allen Akteuren eines Schienentransportes zu realisieren.“
TIPP
Save the Date: Das 18. BME-/VDV-Forum Schienengüterverkehr findet vom 29. Januar bis 30. Januar 2025 in Berlin statt.