Globale Wertschöpfungsnetzwerke sind hoch dynamisch und dadurch anfällig. Das führen vergangene und gegenwärtige Ereignisse wie die Covid-19-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, steigende Inflation oder Lieferengpässe vor Augen. Die dadurch ausgelösten Unsicherheiten spiegeln sich u.a. in volatilen Kundenbedürfnissen, Lieferantenausfällen, aber auch in einer gestiegenen Bedeutung von Nachhaltigkeit wider. Lieferketten-Manager sind zunehmend auf Big-Data-Analysen angewiesen, um in diesem komplexen Umfeld die richtigen Entscheidungen treffen zu können.
Predictive Value Network Intelligence
„Durch Einsatz prädiktiver – also vorausschauender – Analytik können datenbasierte Entscheidungshilfen geboten werden, mit dem Ziel, Unsicherheiten systematisch zu reduzieren“, sagt Patrick Brandtner. Der FH-Professor leitet in Steyr das neue Josef Ressel Zentrum für Predictive Value Network Intelligence (PREVAIL). Demnach lassen sich mit Maschinellem Lernen, einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, Datenbestände analysieren, die wertvolles Wissen zu vergangenen Ereignissen und Transaktionen beinhalten. Brandtner: „Relevantes Wissen zu extrahieren ist eine Herausforderung. Wir arbeiten stark mit Mustererkennung, lernen aus der Vergangenheit und leiten daraus die Zukunft ab.“
Globale Lieferketten stabilisieren
„Möglichst effiziente und gleichzeitig sichere Lieferketten sind eine wesentliche Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Industrie und Handel“, betont Eva Landrichtinger, Generalsekretärin des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft. „Moderne Datenanalysen, Künstliche Intelligenz und Machine Learning haben enormes Potential, globale Lieferketten nachhaltiger und kundenzentrierter zu managen. Die Forschung in diesem neuen Josef Ressel Zentrum wird wesentlich dazu beitragen, dieses Potential in Österreich zu nutzen, und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.“
Unternehmenspartnerschaften
PREVAIL wird sich dabei in erster Linie auf Liefer-, Nachfrage-, Prozess- und Kontrollunsicherheiten fokussieren. Mit an Bord sind drei international tätige Unternehmenspartner: Möbelbeschläge-Produzent Blum, Fenster- und Türenhersteller Internorm sowie Heizungs- und Klimatechnikspezialist Vaillant. Blum und Internorm erwarten sich aus der Partnerschaft künftige Entscheidungshilfen, um Kunden eine höchstmögliche Verfügbarkeit an Produkten zu gewährleisten und gleichzeitig mit möglichst geringen Lagerbeständen auszukommen. Vaillant wiederum will durch den Einsatz von prädiktiver Analytik die Zuverlässigkeit in seinem Servicenetzwerk weiter erhöhen. So könnten damit etwaige Ausfälle in Heizsystemen im Vorfeld erkannt und vermieden sowie Routen- und Materialplanungen nachhaltiger gestaltet werden. Diesen Erwartungen entsprechend werden im Rahmen von PREVAIL gemeinsam mit den Unternehmenspartnern individuelle Anwendungsfälle ausgearbeitet.
Unterstützung bei Umfeld-Unsicherheiten
Einzigartige, disruptive Ereignisse wie eine Pandemie anhand von Datenmaterial vorherzusagen, sei allerdings extrem schwierig, räumt Brandtner ein. In der Wissenschaft sei dann von einer „Unsicherheit im Umfeld“ (environmental uncertainty) die Rede. Im Rahmen von PREVAIL werden sich die Forscher auch damit auseinandersetzen. Brandtner: „Wir wollen beispielsweise aus Corona lernen, wie sich eine Pandemie mit einem bestimmten Infektionsverlauf und entsprechenden regulativen, politischen Maßnahmen – wie etwa Lockdowns – in Kombination mit Engpässen bei bestimmten Produkten und Materialien ausgewirkt hat.“ In die Kategorie der Umfeld-Unsicherheiten fallen auch Zinspolitik und Inflation. Dennoch lassen sich aus Marktmechanismen der Vergangenheit, die in Daten abgebildet wurden, Schlüsse für die Zukunft ableiten. „Mit diesem Forschungsprogramm, das innovative Datenanalyse-Technologien in der Logistik einsetzt, wollen wir unsere Unternehmenspartner in einem komplexen, volatilen und unsicheren Geschäftsumfeld unterstützen. Damit sie künftig nicht nur besser gewappnet auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren, sondern diese auch proaktiv vermeiden können“, sagt der Leiter des Josef Ressel Zentrums PREVAIL.
Internationale Forscher-Kompetenz
Der Bereich „Data Analytics und Foresight“ ist einer von drei Kompetenzbereichen am Logistikum der FH Steyr. „In unserem Team sind vier Nationen (Deutschland, Iran, Nigeria und Österreich) vertreten. Dadurch bündeln wir nicht nur fokussiertes Fachwissen im Kontext Data Analytics, sondern auch unterschiedliche Perspektiven aus verschiedenen Branchen und Ländern“, so Brandtner. Der Schwerpunkt der Forschungsgruppe liegt auf der Anwendung und der Umsetzung von Maschinellem Lernen in der Supply Chain Management-Praxis. Im Rahmen zahlreicher abgeschlossener Projekte – mit Unternehmenspartnern wie Hofer, Ikea oder Hagleitner – konnte dies bereits erfolgreich aufgezeigt werden. „Neben der Praxistauglichkeit unserer Ergebnisse im Sinne der angewandten Forschung stellt auch die Verfassung hochwertiger wissenschaftlicher Publikationen ein zentrales Element in Prevail dar. Dies umfasst auch die Erstellung von Dissertationen; hier bietet das neue Ressel-Zentrum ideale Rahmenbedingungen“, sagt Brandtner.
Fakten „PREVAIL“
- Fördergeber: Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW)
- Förderabwicklung: Christian Doppler Gesellschaft (CDG)
- Unternehmenspartner: Blum, Internorm und Vaillant
- Träger: FH OÖ Campus Steyr, Forschungsgruppe Data Analytics & Foresight
- Leitung: FH-Prof. Dr. Patrick Brandtner, BA MA MSc
- Forschungsbudget: zwei Millionen Euro
- Laufzeit: fünf Jahre
Das Forschungsprogramm ist auf fünf Jahre ausgelegt. Die gewonnenen Erkenntnisse stehen danach weiteren interessierten Unternehmen zur Verfügung. Während der Projektlaufzeit werden die entwickelten Modelle und Methoden in Pilotprojekten mit den Unternehmenspartnern validiert sowie Zwischenergebnisse in wissenschaftlichen Journalen publiziert. Nach dem Ende des Forschungsprogramms ist eine Weiterführung der Forschung und Beantragung von thematisch nachfolgenden Projekten geplant.
Über „Josef Ressel Zentren“
In Josef Ressel Zentren wird anwendungsorientierte Forschung auf hohem Niveau betrieben, hervorragende Forscher kooperieren dazu mit innovativen Unternehmen. Für die Förderung dieser Zusammenarbeit gilt die Christian Doppler Forschungsgesellschaft international als Best-Practice Beispiel. Josef Ressel Zentren werden vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) und den beteiligten Unternehmen gemeinsam finanziert.
Weitere Informationen unter: www.cdg.ac.at/foerderprogramme/jr-zentren