Transporeon befindet sich im Wandel. Kürzlich wurde Ihre Transportmanagement-Plattform um einen Freight Marketplace erweitert. Was ist der große Mehrwert dieses Features für Ihre Kunden?
Ich würde sagen, dass der große Mehrwert in der Optionalität liegt. Man kann so neue Geschäftspartner finden und/oder Kooperationen starten. Als Verlader kann man neue Kapazitäten, also neue Dienstleistungen, und als Dienstleister eben neue Verlade-Kunden finden. So entsteht die Option, sich entweder für einen nachhaltigeren, günstigeren oder schnelleren Transport zu entscheiden.
Optionalität braucht man eben, vor allem dann, wenn sich Wertschöpfungsketten verändern. Wenn ich aufgrund von Krisen, wie es sie in den letzten drei Jahren viele gegeben hat, Märkte aus anderen Lagern bedienen und beliefern muss, als ich das normalerweise tue, dann kommt es mir zugute, wenn ich über eine digitale Plattform auf ein Netzwerk zugreifen kann.
Wir bieten mit Transporeon eben diese neuen Alternativen. Unser größtes Branchensegment sind Konsumgüter und der Einzelhandel. Da ist viel Nahrung dabei, Reis, Pasta und Getreideflocken, Grundnahrungsmittel also, die wir transportieren. Allein deshalb müssen diese Lieferketten immer laufen.
Sie haben am Anfang des Jahres bei uns in der Int. Wochenzeitung Verkehr einen Kommentar veröffentlicht (Ausgabe 05-06/2023), in dem Sie dafür plädieren, Leerfahrten zu verbieten. Diesbezüglich würde das Thema der Bündelung ja eine große Rolle spielen.
Theoretisch, ja, aber diese horizontale Kollaboration, dass jetzt ein Schokoladenhersteller und ein Waschmittelhersteller zusammenarbeiten und aus zwei halbleeren einen vollen Lkw machen, ist nochmal eine zusätzliche Komplexitätsstufe. Aber irgendwann wird das auch möglich sein, davon bin ich überzeugt.
Was heute schon möglich sein muss, ist, Rückfahrten besser zu planen. Es müssen Möglichkeiten gefunden werden, um Leerfahrten zu vermeiden. Ich habe das in dem angesprochenen Artikel provokativ gesagt, habe da auch Kommentare erhalten, aber das ist ja genau Sinn und Zweck von solchen Artikeln, dass man mal sagt: Ja, natürlich könnten wir weiter erklären, warum etwas nicht möglich ist, aber lasst uns mal über jene 10, 20 oder 30, Prozent nachdenken, die heute sehr wohl möglich sind. Wenn wir in diesem Bereich gute Arbeit leisten, dann werden wir übermorgen oder an dem Tag danach feststellen, dass sogar 60 Prozent möglich sind – und so muss diese Bewegung letztendlich in Gang kommen.
Die grundlegende Bereitschaft zur Kollaboration muss natürlich vorhanden sein. Man könnte es auch anders formulieren: Der Leidensdruck muss einfach noch größer werden, bis es zum Wandel kommt. Ich bin felsenfest überzeugt, dass es irgendwann passieren wird. Wenn es diese Generation von Entscheidungsträgern nicht begreift, dann wird es die nächste Generation schon viel besser verstehen und die übernächste sowieso.
Transporeon hat aber nicht nur reine Straßentransporte, sondern kann schon mehrere Modalitäten anbieten, wie u. a. die Schiene. Auch die Rail Cargo Group ist beispielsweise ein großer Bahnkunde. Wie kommen Bahn- oder Multimodal-Transporte bei Ihren Kunden an, vor allem hinsichtlich der sehr hohen Bahnstrompreisen?
Sie kommen nach wie vor gut an. Die Kosten sind natürlich immer noch ein wichtiger Aspekt, aber mittlerweile ist es nicht mehr das einzige Attribut. Früher hat man Transporte primär nach Kosten und Qua-ität, also Kundenzufriedenheit, Geschwindigkeit, Planbarkeit, Pünktlichkeit, gemanagt. Und nun ist ein drittes Attribut, quasi ein dritter KPI, dazugekommen – das ist die Nachhaltigkeit. Hier punkten vor allem natürlich die Intermodal-Transporte.
Es gibt meiner Ansicht nach noch einen weiteren Aspekt, und zwar die Tatsache, dass Verlader Transporte unterschiedlich priorisieren und somit nicht jede Ladung die gleiche Dringlichkeit hat. Ein Transport von einem Werk ins andere innerhalb des gleichen Unternehmens muss nicht zwangsläufig die gleiche Dringlichkeit haben wie ein Transport zum Kunden. Und für solche Fahrten ist es dann gut, die Fähigkeit zu haben, zwischen unterschiedlichen Optionen auszuwählen. Ich könnte den Lkw nehmen, der braucht drei Tage. Ich könnte aber auch die Bahn nehmen, die braucht dann vielleicht fünf Tage, dafür habe ich einen niedrigeren CO2-Ausstoß. Ich erreiche vielleicht sogar eine gute Auslastung und kann die Kosten-Nachteile wettmachen – das kommt schon gut an.
Bahntransporte sind in der Abwicklung komplexer. Natürlich gibt es auch Verlader, die über eigene Terminals oder Anschlussgleise verfügen; aber die meisten Kunden, die intermodale Transporte nutzen, haben eine Kombination von verschiedenen Verkehrsträgern, die eine eigene Komplexität mit sich bringen. Man hat unterschiedliche Dienstleister, ein Terminal, das zwischengeschaltet ist, dazu kommt das Thema der Echtzeit-Visibilität – das Nachverfolgen des Transports wird dadurch ungleich schwerer. Das ist aber genau etwas, das wir z. B. zusammen mit der Rail Cargo Group lernen, und es ist für uns eine Riesenchance, diese Transportmodalität besser kennenzulernen.
Sie legen Ihre Position als CEO von Transporeon mit Ende des Jahres zurück. Was wollen Sie in Ihrer verbleibenden Zeit noch erreichen und was soll sozusagen als Ihre Legacy bleiben?
Für mich steht natürlich im Vordergrund, das Unternehmen sauber an meinen Nachfolger zu übergeben. Das ist mein persönliches Ziel für die nächsten knapp drei Monate. Die Legacy, die ich quasi dann hinterlassen möchte, ist wirklich dieses Bewusstsein, dass wir eine Plattform sind, die sämtliche Parteien in dieser Branche unterstützt, also dass wir eben nicht nur Verladern helfen, günstigere Frachtkonditionen zu erzielen, sondern dass wir letztendlich einen Beitrag leisten, diese Industrie insgesamt effizienter zu machen; dass wir jene Leute, die ein Frachtproblem haben, mit genau den Leuten zusammenführen, die ein Frachtproblem lösen können. Nur wenn wir alle Parteien an den gleichen Tisch, nämlich auf diese Plattform, bringen, haben wir meines Erachtens die Chance, wirklich nachhaltige Veränderungen einzuführen. Transporeon arbeitet kräftig in diese Richtung und wird letztendlich deswegen erfolgreich bleiben.