„ÖBB. Heute. Für Morgen. Für uns.“ So lautet der neue Claim, der ÖBB, die zu Österreichs größtem Klimaschutzunternehmen aufgestiegen sind. Was haben Sie in Bezug auf die Energieunabhängigkeit und den Klimaschutz in den nächsten Jahren geplant?
Matthä: Die ÖBB leben Klimaschutz vor. Wir haben 100 Prozent grünen Bahnstrom, das heißt, es gibt keinen CO2-Ausstoß auf den elektrisch betriebenen Strecken – das wollen wir weiter ausbauen, weil wir bis 2030 vollkommen klimaneutral im Verkehr und bis 2040 als gesamtes Unternehmen klimaneutral sein wollen. Wir haben dazu auch eine Klimastrategie, mit der wir unter anderem die Verkehrsverlagerung und das Thema „alternative Antriebe“ forcieren. Hierfür testen wir Züge, die mit Strom aus der Batterie fahren, und jetzt aktuell auch einen Wasserstoffzug, der für bestimmte Einsatzgebiete ganz interessant sein dürfte. Dieser Zug wird bereits im normalen Fahrgastbetrieb, auf den Strecken von Wiener Neustadt Richtung Aspang respektive Richtung Puchberg und auf der Gutensteiner Strecke, eingesetzt. Die Strecken haben durchaus topographische Herausforderungen. Wir testen deswegen, wie ein Wasserstoffzug auf diesen Steilstrecken reagiert, und wollen wissen, ob er genug Energie und Antriebsleistung hat, um sie bewältigen zu können.
Und hat er genug Power?
Matthä: Üblicherweise schafft er es. Wie bei allen neuen Technologien hat auch der Wasserstoffzug manchmal noch die eine oder andere Kinderkrankheit. Wir haben zum Beispiel gemerkt, dass man beim Betanken sehr sauber arbeiten muss, damit es zu keinen Verunreinigungen kommt. Aber es scheint alles gut zu funktionieren. Wir werden sehen, wie sich die kalte Jahreszeit darauf auswirken wird. Wir sind da nicht technologiegetrieben, sondern gehen dem nach, was für uns pragmatisch gut ist. Auch die Batteriezüge auf kurzen Strecken sind für uns eine sehr gute Anwendungssituation. Beim Wasserstoff ist uns wichtig, dass er aus erneuerbaren Energien, die wir sonst im Überschuss hätten, kommt, damit der Wasserstoff und die Produktion letztlich die Überschussenergie in eine speicherbare Energie verwandelt.
Die ÖBB gelten im Nachtzug-Segment als Vorreiter in Europa. Sie haben einmal gesagt, dass Sie in dieser Nische „eine große Zukunft“ sehen, aber Sie haben ein anderes Mal auch geäußert, dass man „mit den Nachtzügen nicht reich wird“. Wie passt das zusammen?
Matthä: Die Nachtzüge sind in der Tat (umsatzmäßig) ein relevanter Teil unseres Geschäfts. Reich wird man damit immer noch nicht. Ich gebe zu, dass sich dieses Segment ein bisschen besser entwickelt hat, seitdem der Klimaschutz in aller Munde ist. Die Nachtzüge sind eine gute Alternative für angenehmes, entspanntes Reisen während der Nacht. Mit ihnen können wir den einen oder anderen Flug kompensieren. Das ist gut für die Umwelt, aber macht nicht reich. Man merkt dadurch aber, wie wichtig die Bahnen für Europa sind und wie wichtig die EU für die Bahnen ist. Der Nachtzug zeigt anschaulich, wie es dem Güterverkehr jede Nacht geht, wo an den Grenzen Lokomotiven gewechselt und neue technische Normen erfüllt werden müssen. Hier braucht es ein einheitliches, starkes Europa. Wir wollen die Nachtzüge ausbauen, denn es ist ein gutes touristisches Angebot. Wir haben aktuell 19 Linien im Betrieb und wollen 13 neue Nachtzüge beschaffen – die sind bereits in Arbeit und werden in Richtung Italien gehen. Wenn wir alles soweit zusammen haben, dann werden wir noch einmal rund 20 Garnituren beschaffen und können damit dann die Marktabdeckung fast verdoppeln. Mein persönlicher Traum ist, dass man alle großen europäischen Städte in Zentraleuropa wieder mit Nachtzügen verbindet. Mein erster Traum ist Paris, aber ich darf ja auch noch weiter träumen.
Wie komfortabel darf man sich eine Reise in einem Nachtzug vorstellen?
Matthä: Jeder Nachtzug hat drei unterschiedliche Kategorien. Die bequemste ist der Schlafwagen. Dort gibt es ein richtiges Bett mit Polster und Bettdecke. Man kann da im Pyjama übernachten. Ich persönlich empfehle immer, die Ohropax zu nehmen, die man bereitgestellt bekommt. Es gibt fast nichts Schöneres, als wenn man in der Früh munter wird, das Rollo hochzieht und irgendwo in der italienischen Po-Ebene unterwegs ist oder schon vielleicht auf der Brücke nach Venedig, Santa Lucia. Aber auch wirklich herrlich ist es, wenn man in Polen Richtung Berlin unterwegs ist, der Bodennebel streift über die Felder, die Sonne lächelt darauf – also das macht schon etwas mit einem. Man erlebt auch die Länder, durch die man reist, ganz anders, als wenn man mit dem Flugzeug über sie hinwegdüsen würde. Durch die Zugfahrt erspart man sich auch das lästige hineinzwängen in den Flugzeugsitz und die (Stau-geplagte) Fahrt vom Flughafen ins Stadtzentrum. Denn mit einem Nachtzug fährt man bequem direkt bis zum Stadtkern. Das sollte man probieren! Es gibt auch ganz günstige Alternativen für junge, preisbewusste Reisende. Ab 29 Euro pro Person kann man im Sitzwagen zum Beispiel über Nacht reisen. Man kann die Sitzstühle zusammenziehen, was dann mehr Campingcharakter bekommt. Wir haben aber auch Mittelklasse-Liegewagen. Ich freue mich schon auf die neuen Nachtzüge, die hier auch ein bisschen mehr Privatsphäre gewährleisten.
Als Mutter einer jungen erwachsenen Tochter (Sie als Vater einer Tochter kennen das Gefühl sicher auch) schwingt immer die Sorge mit, ob sie auch vor eventuellen Überfällen sicher ist, wenn sie im Nachtzug unterwegs ist. Was können Sie mir diesbezüglich zur Beruhigung sagen?
Matthä: Wenn man im Schlafwaggon unterwegs ist, bekommt man abgesperrte Abeile mit entsprechender Schlüsselkarte. Wenn man im Liegewagen unterwegs ist, würde ich empfehlen, ein sogenanntes Privat-Abteil zu buchen. Um 199 Euro können bis zu drei Erwachsene und Kinder unterwegs sein; da lässt sich auch entsprechend die Tür verschließen. Generell passen wir auf unsere Kunden auf.
Kommen wir kurz zurück zum Thema Blackout. Sie haben schon den Alarmplan angesprochen. Die ÖBB zählen pro Jahr rund 267 Millionen Fahrgäste, davon mehr als 230 Millionen Pendler. Was ist geplant, damit diese, der Lokführer und das Personal nicht auf der Strecke bleiben?
Matthä: Dadurch, dass wir über ein eigenes Stromsystem verfügen, haben wir in jedem Fall die Möglichkeit – auch wenn alles andere zusammenbrechen würde – die Züge nacheinander in die Bahnhöfe zu holen. Wir wissen, wo der jeweilige Zug steht und können vor Ort entscheiden, ob die Passagiere entsprechend evakuiert werden können oder ob es zum Beispiel besser ist, im Zug zu warten, bis er weiterfahren kann. Apropos „nicht auf der Strecke bleiben“: Trotz der massiven Einbußen durch die Pandemie denkt man bei den ÖBB nicht über Kündigungen nach – ganz im Gegenteil! Die Generation Babyboomer geht in Pension und das bedeutet, dass die ÖBB bis 2023 etwa 10.000 neue Mitarbeiter aufnehmen werden.