Am 16. Juni dieses Jahres hat die Europäische Union die Weichen für die Umsetzung des vierten Eisenbahnpakets gestellt. Als Konsequenz davon wurde dadurch die Rolle der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) in Europa aufgewertet. Sie fungiert seither als One-Stop-Shop für den Bahnverkehr in Europa. Unter anderem erteilt sie Genehmigungen für Schienenfahrzeuge für alle EU-Staaten und ist als Behörde autorisiert, Betriebsabläufe zu zertifizieren. „Nach mehr als vier Monaten intensiver Tätigkeit bei der Agentur sind wir stolz darauf, dass die neuen Prozesse reibungslos verlaufen“, erklärt Josef Doppelbauer, Generaldirektor der ERA, gegenüber Verkehr. Bislang wurden bei der ERA 159 Anträge für Fahrzeuggenehmigungen eingereicht und 117 Genehmigungen erteilt. Mit den Genehmigungen können in der Praxis 1.500 Waggons und Lokomotiven in den Verkehr gebracht werden. Nach Erhalt der Fahrzeuggenehmigung kann der Antragsteller seine Ausrüstung allerdings nicht sofort europaweit einsetzen. Die Fahrzeuge können erst nach Zustimmung der für die gewünschten Strecken zuständigen Infrastrukturbetreiber in Betrieb genommen werden, erklärt Doppelbauer die Vorgangsweise. Derzeit laufen fünf Anträge für die Ausstellung einheitlicher Sicherheitszertifikate. „Mittelfristig werden die neuen Verfahren die technische Integration verbessern und die internationale Zulassung vereinfachen. EU-weit harmonisierte Vorschriften machen den Erwerb einer internationalen Fahrzeuggenehmigung oder Sicherheitsbescheinigung zuverlässiger und transparenter und verringern die Kosten und Projektrisiken für die Antragsteller, sprich Eisenbahnunternehmen“, ist Doppelbauer überzeugt. Dies habe das Potenzial, den Eisenbahnen zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu verhelfen.
Das vierte Eisenbahnpaket
Das vierte Eisenbahnpaket besteht aus einer sogenannten „Marktsäule“ und einer „technischen Säule“. Die Aufgaben der ERA sind in der technischen Säule beschrieben. Das vierte Eisenbahnpaket gibt der Agentur eine führende Rolle bei der Gewährleistung der Umsetzung einer harmonisierten europäischen Gesetzgebung. Seit besagtem 16. Juni ist die ERA behördlich beauftragt, neben den bereits erwähnten Tätigkeitsfeldern auch ein interoperables europäisches Eisenbahnverkehrsmanagementsystem (ERTMS) sicherzustellen. Derzeit haben noch nicht alle EU-Mitgliedstaaten die neuen Rechtsvorschriften des vierten Eisenbahnpakets umgesetzt. Bulgarien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, die Niederlande, Rumänien und Slowenien haben das vierte Eisenbahnpaket in nationale Gesetze übernommen. Die übrigen EU-Mitgliedstaaten haben sich für die Integration der neuen Rechtsvorschriften bis Juni 2020 entschieden. Dazu zählt auch Österreich. Für Zypern und Malta gilt das vierte Paket nicht.
Herausforderungen
Zur Erfüllung ihrer neuen Rolle verabschiedete die ERA eine Matrixorganisation, die es ermöglicht, kompetentes Personal vorübergehend einem Bewertungsprojekt zuzuweisen. Darüber hinaus stellte die ERA erfahrene Experten ein, die sofort einsatzbereit sind, und bildete mehr als 200 qualifizierte Experten der Nationalen Sicherheitsbehörden (NSA) aus, um einen internationalen Expertenpool zu bilden, der jeden Antrag in der angeforderten EU-Sprache bearbeiten kann. Das stellt hohe Anforderungen an die Agentur, weil mit dem bisherigen jährlichen Budget seit Juni wesentlich mehr an Dienstleistung erbracht werden muss. Doppelbauer: „Die größte Herausforderung für die Agentur besteht darin, die neuen Verfahren so reibungslos und effektiv wie möglich zu gestalten, insbesondere während der Übergangszeit.“ Während dieses Zeitraums gelten, je nach Zeitpunkt, zu dem sich die Mitgliedstaaten für die Umsetzung des vierten Eisenbahnpakets entschieden haben, unterschiedliche Eisenbahnsicherheitsregelungen. Trotz anfänglicher Vorbehalte des Bahnsektors in Bezug auf die neuen Verfahren kann die Agentur in durchschnittlich weniger als 15 Kalendertagen über Typgenehmigungen entscheiden.
Interoperabilität
Die Interoperabilität auf den Schienen herzustellen, ist eine Herkules-Aufgabe, zumal in den einzelnen Ländern unterschiedliche Regeln gelten. Bei der ERA sieht man es als großen Fortschritt, Tausende von nationalen Vorschriften durch EU-Regeln ersetzt zu haben. 2016 gab es noch mehr als 14.000 nationale Vorschriften für die Fahrgenehmigung, im Juni dieses Jahres waren es nur noch 1.026. Weitere 300 bis 400 Vorschriften werden von der ERA als überflüssig eingestuft. Indes geht die Harmonisierung weiter voran und Doppelbauer ist zuversichtlich, dass nur einige hundert übrig bleiben werden.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Ausgabe VK 45/2019.