News

„Die Elektromobilität ist ein Baustein der Verkehrswende“

Foto: Thorsten Futh
Der Schienenverkehr sollte in den kommenden zehn Jahren verdoppelt werden. Dafür sollten die staatlichen Gelder für die Schieneninfrastruktur mindestens verdreifacht werden, sagt Claudia Kemfert.
Foto: Thorsten Futh

Claudia Kemfert, Energieökonomin und Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, spricht im Interview mit Verkehr über Wege, die Wende in der Transport- und Logistikbranche zu schaffen. Nur über Freiwilligkeit wird es nicht gehen, sagt die Expertin.

Verkehr: Frau Kemfert, der Verkehr trägt immens zur globalen Erwärmung bei. Die Transporte (Lebensmittel, ­Medikamente, Konsumgüter etc.) nehmen aber zu und treiben die CO2-Emissionen weiter in die Höhe. Wie kann man dieses Problem in den Griff bekommen?
Claudia Kemfert:
Ein zentrales Element eines klimagerechten und nachhaltigen Verkehrs­systems muss die Verringerung des motorisierten Individualverkehrs sowie die Stärkung intelligenter und inte­grierter Mobilitätslösungen sein. Dabei können eine Verkehrsvermeidung und Verlagerung auf die Schiene, ÖPNV, Rad- sowie Fußverkehr die Emission von Treibhausgasen und den Energieverbrauch verringern sowie weitere ­Probleme des Verkehrs wie Flächenverbrauch, Lärm und Unfallrisiken berücksichtigen. Die Elektromobilität ist ein zentraler Baustein der nachhaltigen Verkehrswende. Aufgrund des sehr hohen Wirkungsgrads ist sie besonders geeignet, die Klima- und Umweltauswirkungen des Verkehrs grundlegend zu ver­ringern. Zudem emittieren elektrische Antriebe lokal keine Schadstoffe. Elektrofahrzeuge sind allerdings nur dann sinnvoll, wenn sie mit erneuerbaren Energien kombiniert werden und Teil einer kon­sequent auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Verkehrspolitik sind.

Die einzelnen Länder, darunter auch Deutschland, ver­passen ihre im Pariser Abkommen festgelegten Ziele zur CO2-Reduktion. Welche Maßnahmen müssten auf nationaler Ebene sofort ­ergriffen werden?
Kemfert:
Zunächst einmal sollte Deutschland auf einen konsequenten Kohleausstieg setzen und die erneuerbaren Energien deutlich schneller als bisher ausbauen. Außerdem sollte sich die deutsche Regierung für strengere Fahrzeuggrenzwerte in der Europäischen Union einsetzen. Zudem wird noch immer ausgerechnet der umweltschädlichste Treibstoff, der Diesel, indirekt subventioniert. Dies hat zu einem massiven Anstieg von – und letztendlich auch zu der einseitigen und schädlichen Fokussierung auf – private Diesel-Pkw geführt. Es wäre sinnvoll, die indirekte Subventionierung abzuschaffen und die Dieselsteuer zumindest auf das Niveau der Benzinsteuer anzuheben. Dies würde dem Staat Einnahmen von acht Milliarden Euro verschaffen. Diese Einnahmen können verwendet werden, um die Ladeinfrastruktur auszubauen und den Schienenverkehr zu stärken. Zudem sollte eine E-Autoquote für neu zugelassene Fahrzeuge von 25 Prozent ab 2025 und 50 Prozent ab 2030 eingeführt werden.

Was müssten Transportunternehmen bzw. Logistikunternehmen tun? Wie kann man sie motivieren, freiwillig auf „grüne“ Transporte umzu­steigen?
Kemfert:
Nur über Freiwilligkeit wird es nicht gehen, die Rahmenbedingungen müssen stimmen und angepasst werden. Zum einen müssen die Alternativen unterstützt und auf den Markt gebracht werden, E-Fahrzeuge, grüne Kraftstoffe und mehr Schienenverkehr müssen Standard und ­erschwinglich sein. Zum anderen werden die Umwelt-, Gesundheits- und Klimaschäden durch den nicht nachhaltigen Verkehr zukünftig nicht mehr heimlich, sondern über verstärkte Kostenwahrheit ein­gepreist werden. Somit wird es für jedes Unternehmen, das nicht rechtzeitig umstellt, sehr teuer. Der „grüne“ Transport wird sich auszahlen – für jedes Unternehmen.

Seit einiger Zeit sind E-Lkw im Einsatz, diese haben aber eine relativ niedrige Reichweite und eignen sich nicht für alle Transporte. Sehen Sie andere Alternativen?
Kemfert:
Durchaus! Einerseits muss der Schienenverkehr gestärkt werden, möglichst viel sollte über die Schiene transportiert werden. Zudem ­werden alternative Kraftstoffe, angefangen von Biokraft­stoffen bis hin zu synthe­tischem Gas, also aus Ökostrom gewonnenes Gas, immer attraktiver. Auch mit ­Wasserstoff bzw. Brennstoffzellen angetriebene Fahrzeuge werden kommen. ­Zudem ­werden auch Ober­leitungs-Lkw immer mehr zum Einsatz kommen können, wenn mehr Strecken ausgebaut werden.

Die von Ihnen geforderte Stärkung des Schienengüterverkehrs wird von der Europäischen Union seit Jahren als Lösung für das Problem angepriesen, doch die Netze sind nicht ausreichend ausgebaut. Wie müsste man Ihrer Meinung nach vorgehen?
Kemfert:
Der Schienenverkehr sollte in den kommenden zehn Jahren verdoppelt werden. Dazu sollten die staat­lichen Gelder für die Schieneninfrastruktur mindestens verdreifacht werden, um in eine ähnliche Größenordnung der Ausgaben wie andere EU-Länder wie Dänemark oder Österreich zu gelangen. Die Schienen in Deutschland müssen erneuert, ertüchtigt und ausgebaut werden. Zudem sollten die Infrastrukturnutzungsentgelte gesenkt werden. Die Trassenpreise sollten gesenkt werden, indem die Fixkosten der Bahninfrastruktur vom Staat beglichen werden, die Zugbetreiber sollten nur für die Kosten für den Betrieb verantwortlich sein. Man kann von der Schweiz lernen, die mehr Geld für die Schieneninfrastruktur ausgibt und ein weitaus effizienteres Trassenpreis­system hat.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview erschien ursprünglich in der Ausgabe VK 44/2019.


Das könnte Sie auch noch interessieren

Die Logistikbude GmbH startet die Zusammenarbeit mit der DB-Schenker-Tochter Bitergo GmbH und ermöglicht eine nahtlose Anbindung an das Bitergo WMS…

Weiterlesen
Foto: GEODIS

Der Transport- und Logistikdienstleister GEODIS hat kürzlich Marc Vollet zum Executive Vice President des Geschäftsbereichs Europäisches Straßennetz…

Weiterlesen
Foto: Toyota Material Handling / kreativpool

Auf der heurigen LogiMat will Toyota Material Handling eine breite Palette neuer Produkte präsentieren.

Weiterlesen
Foto: Lufthansa Cargo

3,15 Meter mal 3,72 Meter: So hoch und breit ist die Ladeklappe eines Lufthansa Cargo B777-Frachters und damit offen für alles Außergewöhnliche,…

Weiterlesen

HHLA Project Logistics hat zum Jahresende 2024 die erste Verladung im Hamburger Hafen erfolgreich abgeschlossen. Die Tochtergesellschaft der HHLA ist…

Weiterlesen
Foto: Covestro AG

Covestro, ein weltweit führendes Unternehmen in der Herstellung von Polymerwerkstoffen, kooperiert mit dem Logistikexperten DB Cargo BTT, um den…

Weiterlesen
Foto: Josef Heuel GmbH

Der Logistiker HEUEL LOGISTICS hat seinen Hauptstandort in Meinerzhagen ausgebaut und Ende vergangenen Jahres eine neue Umschlag- und Logistikhalle in…

Weiterlesen
Foto: Arvato

Der globale 3PL-Dienstleister Arvato, der sich auf Supply Chain Management spezialisiert hat, gibt den erfolgreichen Abschluss der Übernahme des…

Weiterlesen
Foto: cellcentric

Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Innovationen im Verkehr, besonders bei schweren Nutzfahrzeugen, spielen eine…

Weiterlesen

Ausbaurekord: 2024 ist Österreichs größtes flächendeckendes Schnellladenetz um rund 250 Ultraschnellladepunkte gewachsen, somit stehen rund 400…

Weiterlesen

Schon gehört?

Der Podcast der Internationalen Wochenzeitung Verkehr in Kooperation mit Julia Schütze.

Hören Sie hier das Interview mit Andreas Matthä, CEO der ÖBB Holding.

Wenn Sie externe Inhalte von w.soundcloud.com aktivieren, werden Daten automatisiert an diesen Anbieter übertragen.

Termine

18. BME-/VDV-Forum Schienengüterverkehr

Datum: 29.01.2025 bis 30.01.2025
Ort: Berlin

FRUIT LOGISTICA 2025

Datum: 05.02.2025 bis 07.02.2025
Ort: Messe Berlin

Manifest Vegas

Datum: 10.02.2025 bis 12.02.2025
Ort: Las Vegas (USA), The Venetian

LogiMAT India

Datum: 13.02.2025 bis 15.02.2025
Ort: BEC, Mumbai, Maharashtra

Mehr Termine

Verkehr im Austria Kiosk

Aktuelle ePaper-Ausgaben der Wochenzeitung Verkehr können Sie direkt im Austria Kiosk kaufen.

Anmeldung zum Newsletter

Herr / Mr  Frau / Mrs