Verkehr: Frau Kemfert, der Verkehr trägt immens zur globalen Erwärmung bei. Die Transporte (Lebensmittel, Medikamente, Konsumgüter etc.) nehmen aber zu und treiben die CO2-Emissionen weiter in die Höhe. Wie kann man dieses Problem in den Griff bekommen?
Claudia Kemfert: Ein zentrales Element eines klimagerechten und nachhaltigen Verkehrssystems muss die Verringerung des motorisierten Individualverkehrs sowie die Stärkung intelligenter und integrierter Mobilitätslösungen sein. Dabei können eine Verkehrsvermeidung und Verlagerung auf die Schiene, ÖPNV, Rad- sowie Fußverkehr die Emission von Treibhausgasen und den Energieverbrauch verringern sowie weitere Probleme des Verkehrs wie Flächenverbrauch, Lärm und Unfallrisiken berücksichtigen. Die Elektromobilität ist ein zentraler Baustein der nachhaltigen Verkehrswende. Aufgrund des sehr hohen Wirkungsgrads ist sie besonders geeignet, die Klima- und Umweltauswirkungen des Verkehrs grundlegend zu verringern. Zudem emittieren elektrische Antriebe lokal keine Schadstoffe. Elektrofahrzeuge sind allerdings nur dann sinnvoll, wenn sie mit erneuerbaren Energien kombiniert werden und Teil einer konsequent auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Verkehrspolitik sind.
Die einzelnen Länder, darunter auch Deutschland, verpassen ihre im Pariser Abkommen festgelegten Ziele zur CO2-Reduktion. Welche Maßnahmen müssten auf nationaler Ebene sofort ergriffen werden?
Kemfert: Zunächst einmal sollte Deutschland auf einen konsequenten Kohleausstieg setzen und die erneuerbaren Energien deutlich schneller als bisher ausbauen. Außerdem sollte sich die deutsche Regierung für strengere Fahrzeuggrenzwerte in der Europäischen Union einsetzen. Zudem wird noch immer ausgerechnet der umweltschädlichste Treibstoff, der Diesel, indirekt subventioniert. Dies hat zu einem massiven Anstieg von – und letztendlich auch zu der einseitigen und schädlichen Fokussierung auf – private Diesel-Pkw geführt. Es wäre sinnvoll, die indirekte Subventionierung abzuschaffen und die Dieselsteuer zumindest auf das Niveau der Benzinsteuer anzuheben. Dies würde dem Staat Einnahmen von acht Milliarden Euro verschaffen. Diese Einnahmen können verwendet werden, um die Ladeinfrastruktur auszubauen und den Schienenverkehr zu stärken. Zudem sollte eine E-Autoquote für neu zugelassene Fahrzeuge von 25 Prozent ab 2025 und 50 Prozent ab 2030 eingeführt werden.
Was müssten Transportunternehmen bzw. Logistikunternehmen tun? Wie kann man sie motivieren, freiwillig auf „grüne“ Transporte umzusteigen?
Kemfert: Nur über Freiwilligkeit wird es nicht gehen, die Rahmenbedingungen müssen stimmen und angepasst werden. Zum einen müssen die Alternativen unterstützt und auf den Markt gebracht werden, E-Fahrzeuge, grüne Kraftstoffe und mehr Schienenverkehr müssen Standard und erschwinglich sein. Zum anderen werden die Umwelt-, Gesundheits- und Klimaschäden durch den nicht nachhaltigen Verkehr zukünftig nicht mehr heimlich, sondern über verstärkte Kostenwahrheit eingepreist werden. Somit wird es für jedes Unternehmen, das nicht rechtzeitig umstellt, sehr teuer. Der „grüne“ Transport wird sich auszahlen – für jedes Unternehmen.
Seit einiger Zeit sind E-Lkw im Einsatz, diese haben aber eine relativ niedrige Reichweite und eignen sich nicht für alle Transporte. Sehen Sie andere Alternativen?
Kemfert: Durchaus! Einerseits muss der Schienenverkehr gestärkt werden, möglichst viel sollte über die Schiene transportiert werden. Zudem werden alternative Kraftstoffe, angefangen von Biokraftstoffen bis hin zu synthetischem Gas, also aus Ökostrom gewonnenes Gas, immer attraktiver. Auch mit Wasserstoff bzw. Brennstoffzellen angetriebene Fahrzeuge werden kommen. Zudem werden auch Oberleitungs-Lkw immer mehr zum Einsatz kommen können, wenn mehr Strecken ausgebaut werden.
Die von Ihnen geforderte Stärkung des Schienengüterverkehrs wird von der Europäischen Union seit Jahren als Lösung für das Problem angepriesen, doch die Netze sind nicht ausreichend ausgebaut. Wie müsste man Ihrer Meinung nach vorgehen?
Kemfert: Der Schienenverkehr sollte in den kommenden zehn Jahren verdoppelt werden. Dazu sollten die staatlichen Gelder für die Schieneninfrastruktur mindestens verdreifacht werden, um in eine ähnliche Größenordnung der Ausgaben wie andere EU-Länder wie Dänemark oder Österreich zu gelangen. Die Schienen in Deutschland müssen erneuert, ertüchtigt und ausgebaut werden. Zudem sollten die Infrastrukturnutzungsentgelte gesenkt werden. Die Trassenpreise sollten gesenkt werden, indem die Fixkosten der Bahninfrastruktur vom Staat beglichen werden, die Zugbetreiber sollten nur für die Kosten für den Betrieb verantwortlich sein. Man kann von der Schweiz lernen, die mehr Geld für die Schieneninfrastruktur ausgibt und ein weitaus effizienteres Trassenpreissystem hat.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview erschien ursprünglich in der Ausgabe VK 44/2019.