Wenn man die historischen Werte und Warenstromdaten kennt, kann man dem Logistiker helfen, in Zukunft bessere Entscheidungen zu treffen, erklären Andreas Schellmann (li.) und Karl Knall.
Foto: Bernd Winter
lbase software, Teil der österreichischen Axians ICT Gruppe, zählt zu den führenden Anbietern von Transport- und Warehouse-Management-Systemen in Europa. Math.Tec auf der anderen Seite entwickelt Optimierungsmodelle, vor allem in den Bereichen Lager-, Produktions- und, Transportlogistik sowie Industrie. Verkehr traf die Geschäftsführer der beiden Unternehmen und sprach mit ihnen über ihre neueste gemeinsame Weiterentwicklung ihrer Tourenoptimierungssoftware.
Verkehr: Sie haben auf der heurigen transport logistic Messe in München die neueste Version Ihrer Tourenoptimierungssoftwarelösung präsentiert. Was unterscheidet sie von anderen?
Andreas Schellmann: Wir können damit den Sammelverkehr für Stückgut automatisch optimieren. Das betrifft sowohl die Routen für Voll- als auch für Teilladungen. Wir nutzen dafür mehrere verschiedene mathematische Methoden, um für die komplexe Kombination aus Linienverkehren, sternförmigen Umschlagstrukturen und Nahverkehr eine optimale Tourenplanung zu erhalten. Zudem gibt es einen Szenario-Manager, der die Ergebnisse in Szenarien abspeichern kann. Schließlich kann man auch Szenarien oder Parameter im Szenario selbst verändern. Darüber hinaus können wir über neuronale Netze einen Forecast für die nächsten sieben Tage erstellen. Wenn ich historische Werte und Warenstromdaten kenne, kann ich dem Logistiker helfen, bessere zukünftige Entscheidungen zu treffen.
Wird dadurch nicht der Dispontent entmündigt?
Schellmann: Ganz im Gegenteil. Wir stellen dem Disponenten ein perfektes Decision-Support-System zur Verfügung. Wir wollen niemanden entmündigen. Der Disponent soll die optimalste Vorlage bekommen, um selbst die finale Entscheidung treffen zu können. Seit einigen Jahren gibt es den prägenden Begriff HCPI (Human Centered Planning Intelligence). Die Human Ressource soll nicht abgehängt werden. Das System ersetzt nicht den Menschen und seine Skills.
Wird die Automatisierung angestrebt, sodass der Mensch nur mehr im Worst Case einschreiten muss?
Schellmann: Genau. Zu rund 80 Prozent ist das heute schon der Fall. Deswegen wird auch die Rolle eines Disponenten mit unserer Software aufgewertet. Dieser kümmert sich wirklich nur noch um die Fälle, die Aufmerksamkeit bedürfen oder schwierig zu lösen sind.
Was waren die Beweggründe für die vor drei Jahren begonnene Partnerschaft von lbase software und Math.Tec?
Karl Knall: Durch die immer komplexer werdenden Kundenanforderungen ist diese Zusammenarbeit für beide Seiten absolut sinnvoll. So haben wir u. a. die Tourenoptimierung mit einem Transport-Management-System verbunden. Damit waren wir einer der Ersten am Markt und können zwei Themenbereiche abdecken: Man kann zum einen Sendungen auf ein Fahrzeug bzw. eine Tour verplanen und erhält die optimale Reihenfolge, wie man dies unter bestimmten Rahmenbedingungen abfahren soll (inkl. Berücksichtigung von Zeitfenstern, Pausenregelungen etc.). Ganz wichtig: Nicht die Mathematik gibt vor, was der Kunde zu tun hat, sondern der Kunde ist bei uns bei der Entwicklung von Anfang an mit dabei und kann so seine individuellen Anforderungen einfließen lassen. Im einfacheren Fall zieht der Disponent einfach alles auf die Fahrt, klickt auf „optimieren“, wartet rund 30 Sekunden bis zwei Minuten und erhält danach eine optimale Tour vorgeschlagen. Dabei besteht auch die Möglichkeit, unterschiedliche Szenarien zu entwickeln. Der zweite wesentlich komplexere Anwendungsfall betrifft die Disposition von zum Beispiel 20 oder 30 Fahrzeugen, die ca. 400 Sendungen pro Tag verarbeiten müssen.
Werden auch Wetter- und Verkehrsdaten eingespeist?
Schellmann: In der derzeitigen Version arbeiten wir noch nicht mit Messwerten zum Wetter oder Verkehr, dafür aber mit den Bewegungsdaten: Wo steht der Lkw länger als geplant oder wo dauert das Ausladen länger als errechnet? Die Route verändert sich im Verlauf der Tour.
Knall: Für viele ist ein Umplanen während der Fahrt nicht erwünscht oder möglich. Man bekommt bei den Verkehrsdaten vielleicht die Information, dass es länger dauert und dann bekommt man vielleicht eine andere Route, aber die Be- oder Entladungsgeschwindigkeit ändert sich dadurch nicht. Die Möglichkeit, etwas zu beeinflussen, ist dabei oft ein Thema. Wenn ich die Information bekomme, stellt sich die Frage, was ich noch ändern kann. Kann ich überhaupt eine andere Route zu einem anderen Beladungsstopp fahren? In erster Linie muss aber zunächst der Kunde informiert werden.
Schellmann: Wir kommen von einer reaktiven in eine proaktive Situation. Ich weiß zum Beispiel schon im Voraus, dass ich in vier Stunden verspätet sein werde. So kann ich den Kunden schon vorab informieren. Das machen die Systeme vollautomatisiert über Workflows via E-Mails mit dem Track-and-Trace-System.
Kann Ihr System auch multimodale Verkehre optimieren?
Schellmann: Wir bedienen nahezu alle Supplementärbranchen, also alles, was unsere Kunden auf der Straße, der Schiene oder auf dem See- bzw. Luftweg transportieren. Das sind teilweise schnelle, zeitkritische Güter, Langläufer, Vor- und Nachläufer. Wir bieten multimodal an, also die gesamte Bandbreite. Es spielt dabei keine Rolle, wo ein möglicher Übergang stattfindet. Die Endausbaustufe wäre natürlich, ein multimodales Routing über alle Verkehrsträger, von Shanghai bis nach Wien und durchgängig in einem System mit einem Algorithmus zu haben.
Knall: Bezüglich der Bahn gibt es schon erste Projekte in Kombination mit Kunden von Ibase. Wir haben die Aufgabenstellung mathematisch gelöst. Es ging darum, dass die Züge rechtzeitig zu den Häfen für die Schiffe nach Amerika kommen. Die Erfahrungen, die wir bei den Kunden gesammelt haben, wollen wir mitnehmen und mit Vorlagen der Ibase zusammenmischen.
Schellmann: Mit Version 8.0, die ab 2020 auf den Markt kommen wird, wollen wir dann auch tatsächlich ein multimodales Routing und eine multimodale Optimierung über alle Verkehrsträger anbieten. Da wir schon immer für alle Verkehrsträger planen, ist das unsere Stärke. Deswegen schließt sich auch hier der Kreis mit den Kunden. Das finale Ziel: Wir wollen uns zum Google der Logistik entwickeln!
Die Elektromobilität wird gerade für die letzte Meile immer wichtiger. Berücksichtigen Sie auch die entsprechende Lauf- und Aufladezeit von E-Fahrzeugen in Ihrer Planung?
Schellmann: Bei unserer Planung geht es um die Berücksichtigung von einer Vielzahl an Stammdaten wie Öffnungszeiten, Ruhezeiten, Ladezeiten, Standort der nächsten E-Tankstelle etc. Unser System greift in Millisekunden auf alle Daten zu, die ich zu einer fahrbaren und machbaren Route verbinde.
Wer ist für die Wartung und Aktualisierung im Hintergrund zuständig und schaut zum Beispiel, welche neuen E-Tankstellen zur Verfügung stehen?
Schellmann: Das machen wir alles selber in unserem Haus. Wir verwenden Streetmap als Basis und veredeln diese Karte dann mit den benötigten Informationen. Damit man das kann, muss man diesen Dienst selbst betreiben, was ein riesiger Aufwand ist. Die Daten stehen allen unseren Kunden zur Verfügung. Das ist eine Basis-Komponente bei uns, die keine zusätzlichen Lizenzkosten mit sich bringt, weil wir sagen: Nur dann, wenn ich das auch anbiete und jeder es nutzen kann, bekomme ich die Qualität in die Systeme. Es erfordert viel Aufwand, viel Vorinvestition. Wir haben dadurch aber auch Vorteile. Wir sind die Vorstufe des Google-Maps der Logistik. Ich bin ein Datensammler. Ich sammle und beginne auszuwerten, um daraus neue Produkte zu gestalten, weil wir mitbekommen, wie unsere Nutzer in diesen Kartensystemen damit arbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview erschien ursprünglich in der Ausgabe VK 40/2019