Herr Staberhofer, der Logistikindikator ALI wurde 2023 zum dritten Mal erhoben. Welches Ziel wird mit dem Indikator verfolgt und welche Zielgruppe wird damit adressiert?
Das Projekt ALI soll ermöglichen, dass die Regionen Österreichs voneinander lernen, indem aufgezeigt wird, welche Stärken und Schwächen die einzelnen Regionen in der logistischen Leistungsfähigkeit haben. Eine Region, die sich in einem bestimmten Bereich verbessern möchte, sollte dann schauen, welche Region diesen Bedarf gut gedeckt hat und wie das erreicht wurde. So können funktionierende Konzepte verbreitet und Schwächen zu Stärken umgewandelt werden. Das Ganze muss natürlich unter Berücksichtigung der unterschiedlichen geografischen Voraussetzungen passieren – eine Gebirgsregion wird mit Erfolgskonzepten aus einem Ballungszentrum vermutlich nicht die gleichen Erfolge erzielen. Die Zielgruppe besteht also aus Logistikunternehmer:innen, der Verwaltung bis hinunter auf Gemeindeebene und der Politik. Daneben ist auch die verladende Industrie wichtig, da diese letztendlich die Kunden der Logistikunternehmen darstellt.
Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit der Umsetzung der Ziele gemacht? Nimmt das Zielpublikum den Indikator als Instrument zur Verbesserung an?
Wir haben dazu ein Logistik-Labor in Oberösterreich veranstaltet, bei dem konkrete Maßnahmen konzipiert wurden. Dabei wurde deutlich, dass Unternehmer:innen sehr wohl bereit sind, Veränderungen proaktiv anzugehen. Seitens der Unternehmen werden auch Wünsche an die Politik herangetragen, deren Aufgabe es ist, Lösungen umzusetzen, die für alle Beteiligten ein Gewinn sind. Das ist natürlich nicht immer möglich, und dann gilt es, den besten Kompromiss zu finden. Das Um und Auf ist ein regelmäßiger Abgleich mit den Bedürfnissen und Problemen der Unternehmen, aber auch der Bevölkerung. Nur dann kann ein gewinnbringendes Miteinander entstehen. Dabei können wir als Wissenschaftler:innen helfen, Lösungsansätze zu entwickeln und Pilotprojekte durchzuführen. Auch kann die Forschung eine Brücke zwischen Politik und Unternehmen schlagen. Dies passiert durch Förderprojekte, die seitens Politik und Verwaltung ausgeschrieben werden und von Forschung und Unternehmen umgesetzt werden. Im Logistik-Labor haben wir alle Stakeholder der Logistik an einen Tisch gebracht und sie dabei begleitet, Maßnahmen zu entwickeln, die allen nutzen. Daraus hat sich dann zum Beispiel die Idee einer nachhaltigen City-Logistik für Linz entwickelt, die jetzt in einem Folgeprojekt zu einem Piloten entwickelt wird.
Welche Herausforderungen konnten im österreichischen Logistiksektor mittels ALI identifiziert werden?
Die zentralen Herausforderungen in der Logistik Österreichs bestehen in den Bereichen Arbeit und Bildung, Immobilien sowie Lieferketten. Im ersten Bereich besteht ein erheblicher Mangel an Arbeitskräften, insbesondere in der Logistikbranche. Der demographische Wandel und ein negatives Image der Branche tragen zu diesem Problem bei. Zusätzlich werden veraltete Recruiting-Methoden und Berufsbilder in der Praxis verwendet, die die Einbindung von bestimmten Bevölkerungsgruppen wie Frauen und Älteren erschweren.
Das Thema Arbeitskräftemangel ist bereits breit diskutiert und analysiert wordden. Welche Reaktion hat die Logistikbranche in Österreich darauf?
In Österreich haben wir insbesondere einen Mangel an Lkw-Fahrer:innen erlebt. Um diesem Problem zu begegnen, sind verstärkte Anstrengungen in der Aus- und Weiterbildung sowie die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen erforderlich. Kann der Beruf der Lkw-Fahrer:in so gestaltet werden, dass diese kürzere Strecken fahren und daher öfter zu Hause sind, würde das die Zielgruppe potenzieller Arbeitskräfte vergrößern. Auch die Überwindung von Sprachbarrieren kann mit IT-Lösungen, zum Beispiel mit speziellen mehrsprachigen Apps, unterstützt werden. Hier stellt sich die Frage, ob es wirklich für jeden Beruf nötig ist, sich auf Deutsch verständigen zu können. Darüber hinaus sind Jobs in der Logistik nicht besonders beliebt, weil vielen nicht bekannt ist, wie facettenreich Logistik ist. Viele Jobs in der Logistik müssen daher besser beworben werden und die Jobs, die tatsächlich nicht besonders attraktiv sind, sollten dann zumindest leistungsgerecht entlohnt werden.
In Bezug auf Immobilien ist der Flächenverbrauch ein heiß umstrittenes Thema. Ist die größte Herausforderung in der Logistik die Widmung neuer Flächen?
Im Bereich Immobilien sind Flächen notwendig, die aktuell nicht immer am richtigen Ort in der richtigen Größe mit der richtigen Widmung und der richtigen Infrastruktur vorhanden sind. Wichtiger als die Widmung von neuen Flächen ist daher meiner Ansicht nach ein gut durchdachtes und abgestimmtes Raumplanungskonzept. Vor allem in der Nähe bestehender Terminals müssen aber Flächen vorhanden sein, damit sich unsere Logistikdienstleister dort auch in der Nähe ansiedeln können – nur das garantiert die effiziente Nutzung dieser Terminals. Dies wird teilweise durch die Raumordnungspolitik der Bundesländer erschwert, die nicht immer eine übergeordnete Strategie für die Ansiedlung von Logistikunternehmen ermöglichen. Außerdem sind Logistikimmobilien aufgrund des Online-Handels eine der beliebtesten Immobilien-Assetklassen geworden, was zusätzlichen Druck auf das verfügbare Angebot an Flächen ausübt.
Beim Thema Lieferketten denkt man sofort an internationale Ereignisse wie die Probleme im Suezkanal oder den Mangel an Mikrochips. Welchen Herausforderungen begegnen wir innerhalb Österreichs bezüglich Lieferketten?
Im Bereich Lieferketten ist die Entwicklung einer nachhaltigen Logistik eine Herausforderung. Dabei wird der Fokus oft zu Recht auf den Hauptlauf gelegt, bei dem am meisten Potenzial besteht. Innerhalb Österreichs stellt sich hauptsächlich die Frage, wie wir die Verteilung der Lieferungen gestalten, die von international in Österreich ankommen, und dann auch umgekehrt: Wie bringen wir die Waren am effizientesten und nachhaltigsten von unseren Unternehmen in den Hauptlauf? Die Schaffung multimodaler Transportmöglichkeiten für kleinere Mengen wäre zum Beispiel im alpinen Raum hilfreich. Derzeit ist das aber praktisch unmöglich, weil unwirtschaftlich. Hier müssen Anreize für nachhaltige Lösungen geschaffen werden, um CO2-Emissionen zu reduzieren.
Österreich ist generell nicht auf dem besten Weg, die Klimaziele der EU zu erreichen. Die Logistik kann und sollte hierfür einen wesentlichen Beitrag leisten. Woran scheitern wir bisher?
Man sollte meinen, dass es gerade für die Logistikbranche einfach sein sollte, auf Nachhaltigkeitsziele hinzuarbeiten – bedeutet doch ein verringerter CO2-Ausstoß in der Regel auch eine Steigerung der Effizienz. Wir sollten hier systemoffen denken und nicht nur die Elektromobilität in unsere Planungen miteinbeziehen. Wasserstoff und E-Fuels werden zum Beispiel unverzichtbare Komponenten in einer Dekarbonisierung der logistischen Hauptläufe sein. Nichtsdestotrotz gilt natürlich weiterhin das Prinzip: vermeiden – verlagern – verbessern.
Nachhaltigkeit ist keine explizite Kategorie im ALI. Wird die Entwicklung in diesem Bereich dennoch gemessen?
Nachhaltigkeit ist sehr wohl im ALI abgebildet. Nachhaltigkeit ist aber nicht nur die Reduktion von CO2-Emissionen, sondern besteht aus drei Bereichen: der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen Nachhaltigkeit. Mit dieser Definition von Nachhaltigkeit findet man viele Kennzahlen im ALI, die Nachhaltigkeit in der Logistik messbar machen. Hier sind zum Beispiel die Anzahl der E-Tankstellen pro Region oder die Anzahl der Anschlussbahnen – also Bahnanschlüsse an Unternehmensstandorten – zu nennen.
Wir haben über viele Herausforderungen in der Logistik gesprochen. Können die einzelnen Regionen diese Themen überhaupt selbst bewältigen oder braucht es dafür Lösungen vom Bund?
Es braucht vor allem eine gute Kommunikation: Nur wenn alle beteiligten Stakeholder zusammenarbeiten, erhalten wir das beste Ergebnis. Der Bund sollte die Bundesländer und Gemeinden dabei unterstützen, effizientere und nachhaltigere Prozesse zu implementieren. Da die Bundesländer und Gemeinden in Österreich aber sehr unterschiedlich sind, kann es nicht die eine Lösung geben. Zum Beispiel macht es einen großen Unterschied, ob man Elektro-Lkw im Gebirge oder im Flachland einsetzen möchte. Daher werden für unterschiedliche Regionen auch unterschiedliche Lösungen benötigt.
Welche Themen sollten in Österreich in Hinsicht auf Logistik diskutiert und umgesetzt werden, damit Österreich in zehn Jahren immer noch ein attraktiver Wirtschaftsstandort ist?
Österreich ist einer der großen europäischen Kreuzungspunkte und liegt auf mehreren Korridoren des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-T-Korridore). Um diesem Status gerecht zu werden und den inner-europäischen Handel zu unterstützen, müssen wir uns im Ausbau der Infrastrukturnetze auch über unsere Grenzen hinaus weiter engagieren. Im Sinne der Bevölkerung muss es gelingen, die Rolle Österreichs als Transitland auf nachhaltige Art und Weise zu gestalten. Und dabei geht es wieder um ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Dazu gehören nicht nur Investitionen in die Bahn, sondern auch in alternative Treibstoffe wie Bio-Fuels, LNG, Wasserstoff und dazugehörige Tankstellennetzwerke. Wir müssen uns auf unsere Stärken fokussieren und zeitgleich an unseren Schwächen arbeiten – dafür ist ALI eine objektive und detaillierte Entscheidungshilfe.