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Mythos Seidenstraße: Die BRI in Lateinamerika

Die zunehmende Dominanz Chinas als Handelspartner verstärkt die Sorgen, dass China eigene Standards auch in Latein­amerika durch­setzen möchte, erläutert Andreas Breinbauer, Rektor und Leiter der Studiengänge Logistik und Transportmangement an der Fachhochschule des BFI Wien.

Das chinesische Engagement in den Ländern Lateinamerikas, die klassischerweise im Einflussbereich der USA stehen, ist größer als seine Bestrebungen in Afrika, erklärt Andreas Breinbauer in seinem 17. Kommentar.

Im Hinblick auf die BRI gibt es zwischen Lateinamerika und Afrika einige Parallelen: Wie Afrika wurde Lateinamerika (also die Karibik sowie Mittel- und Südamerika) erst sehr spät, ab 2017, an die BRI angeschlossen, dafür wurde dann aber ordentlich Gas gegeben. Heute haben 24 von 27 Ländern der Region ein Kooperationsabkommen unterzeichnet – das ist ein ähnlicher „Deckungsgrad“ wie in Afrika. Die Geschwindigkeit, mit der China im Rennen um den wirtschaftlichen Einfluss in Lateinamerika mit dem strategischen Konkurrenten, den USA – noch dazu in ihrem traditionellen „Hinterhof“ –, aufgeholt hat, ist atem­beraubend: Im Jahr 2000 betrug das Handelsvolumen zwischen China und Lateinamerika nur 14 Milliarden US-Dollar, 2010 waren es bereits 80 Milliarden, das entsprach zum damaligen Zeitpunkt nur 2,7 Prozent des chinesischen Handelsvolumens weltweit. Doch der Handel zwischen China und den lateinamerikanischen Ländern wuchs weiter und erreichte 2023 einen Wert von 480 Milliarden US-Dollar – das entspricht einem Anteil von ungefähr acht Prozent. Zum Vergleich: Der Anteil der EU als größter Handelspartner beträgt 13,7 Prozent.
Im Unterschied zum Warenaustausch der EU oder Afrikas mit China gelang es den lateinamerikanischen Ländern, einen Handelsbilanzüberschuss zu erwirtschaften. Am erfolgreichsten war Brasilien, das 2023 bei einem Warenumschlagvolumen von 181 Milliarden US-Dollar ein Überschuss von 63 Milliarden erzielen konnte – ein weltweiter Rekordwert. Auch Peru und Chile konnten 2023 Exportüberschüsse erzielen. Hauptexportprodukte sind dabei Soja, Kupfer, Eisenerz, Öl, Kupfer und Rindfleisch, die zusammen 72 Prozent des Gesamtvolumens ausmachen. Die Importe sind hauptsächlich leistbare Industrieprodukte wie Autos und Elektronikprodukte.

Rohstoffe und Infrastruktur
Ebenso ist der Gesamtbestand chinesischer Investitionen in Lateinamerika stark gestiegen. Mit 209 Milliarden US-Dollar (2022) ist er fast fünfmal so hoch wie jener in Afrika (48 Milliarden) und liegt nicht allzu weit hinter den USA (ca. 311 Milliarden). Ein Drittel der chinesischen Investitionen (71 Milliarden US-Dollar) ging nach Brasilien, obwohl es kein Seidenstraßen-Mitglied ist. China ist besonders im lateinamerikanischen Rohstoffsektor engagiert. Dazu zählen Raffinerien und Verarbeitungsanlagen in Ländern mit großen Vorkommen an Kohle, Kupfer, Erdgas, Öl und Uran. Seit einigen Jahren steht auch Lithium auf dem Programm. China ist das einzige Land, das im Lithiumbereich über die gesamte Supply Chain eine führende Position einnimmt, mit Ausnahme der Produktion, bei der China hinter Australien und Chile an dritter Stelle liegt und damit seinen Inlandsbedarf nicht decken kann. Chinesische Unternehmen sind daher insbesondere in Argentinien, Bolivien und Chile aktiv – den drei Ländern des „Lithium-Dreiecks“, in dem 56 Prozent der weltweiten Vorkommen des begehrten Batteriemetalls vermutet werden.
Ein weiterer strategischer Schwerpunkt chinesischer Investitionen ist die Infrastruktur. Rund 70 Kilometer nördlich der peruanischen Hauptstadt Lima beginnt der chinesische ­Hafenbetreiber Cosco Shipping Ports gerade mit dem Neubau des Hafens Chancay. Mit einem Investitionsvolumen von drei Milliarden US-Dollar soll hier der größte Pazifikhafen Südamerikas entstehen, in dem zum ersten Mal die größten Schiffscontainer der Welt andocken können.
Am Panamakanal betreibt China inzwischen an beiden Enden des Kanals Häfen. Der Hafen von Montevideo in Uruguay ist bereits ein Zentrum der chinesischen Fischfang-Flotte, 400 Schiffe sind von hier aus aktiv. Weitere chinesische Erfolge im Bereich Infrastruktur sind einige Konzessionen in Brasilien, der Zuschlag zum Bau einer Metrolinie in Santiago de Chile und der Kauf des Stromnetzbetreibers Luz del Sur in Peru. Mit dabei sind auch chinesische Unternehmen wie der im Westen umstrittene Tech-Gigant Huawei, der seit Jahren Hauptlieferant für 4G- und 5G-Netzwerke in der Region, zum Beispiel in Brasilien, ist. Als Element der digitalen Seidenstraße wird die Verlegung von Glasfaserkabelleitungen über den Atlantik von Afrika nach Brasilien gesehen, die zumindest teilweise von ­chinesischen Firmen finanziert, gebaut und betrieben werden.

Kritik an China
Es wird von vielen Beteiligten geschätzt und gleichzeitig kritisiert, dass China kaum Ansprüche an die Einhaltung von Sozialstandards, Menschenrechten oder Umweltauf­lagen stellt. Die zunehmende Dominanz Chinas als Handels- und Investitionspartner verstärkt damit die Sorgen, dass China eigene Standards und Industrienormen auch in Lateinamerika durchsetzen möchte („Chinese Standards 2035“), wie beispielsweise im Bereich 5G. Dar­über hinaus sehen westliche Länder, vor allem die USA, Sicherheitsinteressen bedroht. China verfügt inzwischen über einige Satellitenbodenstationen, ein Weltraumobservatorium und angeblich Spionageeinrichtungen, speziell in Kuba. Als Kritik wird auch geäußert, dass sich chinesische Praktiken nicht wesentlich von jenen westlicher Investoren unterscheiden und damit strukturelle Zwänge und Abhängigkeiten verstärkt würden. In der jüngsten Unfrage des Markt- und Meinungsforschungsins­tituts Gallup (2024: „Rating World Leaders“) liegt China dementsprechend, anders als in Afrika, in Lateinamerika nicht an erster Stelle, sondern hinter den USA und Deutschland auf Platz 3.

EU-Initiative als Alternative zur BRI
Im Rahmen des EU-Alternativprojekts zur BRI „Global Gateway“ sollen in Lateinamerika bis 2027 45 Milliarden Euro ­investiert werden. Zu den 130 projektierten Vorhaben zählen Kooperationen bei den kritischen Rohstoffen mit Argentinien und Chile (inklusive des Aufbaus nachhaltiger Lieferketten), Telekommunikationsnetze im Amazonasgebiet, die Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs in Costa Rica, die Einführung von 5G in Jamaika, die Modernisierung des Stromnetzes in Paraguay und Kooperationen im Bereich lokaler Arzneimittel- und Impfstoffherstellung sowie Hafenkooperationen zwischen der EU und Lateinamerika. Das sind genau die Themen, mit denen bisher China punkten konnte. Die EU bietet aber einen nachhaltigeren Ansatz – man wird sehen, ob dieser auch entsprechende Akzeptanz findet.


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