Fritz Müller (re.) hat sich vom Spirit des Silicon Valleys inspirieren lassen und will die dort „getankten“ Impulse in seinem Alltag und Unternehmen umsetzen.
Foto: Bernd Winter
Eine Reihe von primär deutschen Logistikunternehmen (unter ihnen auch Fritz Müller) reisten Ende Oktober in einer von der deutschen Straßenverkehrsgenossenschaft (SVG) organisierten Studienreise ins Silicon Valley, um die dortige Start-up-Szene und die Denk- und Arbeitsweise der Unternehmen vor Ort kennenzulernen. Am Besuchsprogramm standen u. a. Uber Freight, Tesla, Google und weitere Start-ups. Verkehr wollte sich daher mit Fritz Müller über seine Eindrücke austauschen.
Verkehr: Was ist Ihnen als Erstes bei Ihren Unternehmensbesuchen im Silicon Valley aufgefallen?
Fritz Müller: Die Hauptbotschaft im Silicon Valley lautet, dass Sie keine Prozesse verbessern, sondern neue erfinden wollen! Sie haben eine ganz andere Herangehensweise als traditionelle Unternehmen in Europa. Bezahlt wird das Resultat und nicht die Stunden, die dort verbracht wurden. Die Befriedigung von Kundenbedürfnissen steht an oberster Stelle. Darüber hinaus halten sich die Unternehmen nicht unabdingbar an ihre Gründungsidee und reagieren flexibel, wenn sich am Weg eine erfolgversprechendere Chance auftut. Als Beispiel wäre hier u. a. die Firma Slack zu nennen, die mit ihrem Messaging-Dienst für den internen Austausch in einem Unternehmen erfolgreich geworden ist. Zu Beginn haben sie Spielekonsolen entwickelt, die aber nicht sonderlich erfolgreich waren. Dafür hatten sie aber parallel dazu eine interessante Kommunikationsplattform aufgebaut, mit der sie nun sehr erfolgreich sind. Speziell die Firmen im Silicon Valley sind weniger auf bestimmte Branchen spezialisiert, sondern wollen primär Lösungen für Kundenprobleme entwickeln und anbieten.
Die Work-Life-Balance wird in unseren Breitengraden immer wieder als wichtiges Gut propagiert. Wie sieht dies im Silicon Valley aus?
Müller: Der Faktor Zeit hat dort eine andere Bedeutung als bei uns. Begriffe wie Work-Life-Balance stoßen auf Unverständnis. Im Silicon Valley muss alles immer sofort passieren. Es will praktisch niemand mehr warten – und auf das konzentrieren sich die Start-ups bei ihren Lösungsansätzen. So werden u. a. Wartezeiten bei Ärzten im Silicon Valley nicht akzeptiert. Der vereinbarte Termin muss eingehalten werden, ansonsten erhält der Arzt im Internet eine schlechte Bewertung.
Im Rahmen der Reise haben Sie auch Uber Freight besucht. Welche Eindrücke konnten sie dort gewinnen?
Müller: Es ist sehr spannend, dass dort nur sehr wenige Logistiker arbeiten. Die Mehrzahl der Mitarbeiter sind IT-Fachkräfte, die auf das Programmieren und Entwickeln von Algorithmen spezialisiert sind. Das gilt für praktisch alle Firmen vor Ort. Der Umsatz ist weniger bedeutend. Worauf es ankommt, ist, möglichst viele Kundendaten zu sammeln und diese auszuwerten. Die Amerikaner belächeln unsere Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes, denn sie gehen davon aus, dass man gerade den Menschen durch die Auswertung ihrer Daten am meisten helfen kann. In den USA führt Uber Freight bereits jetzt mehrere tausend Fahrten durch. Sie haben nun auch bereits in Deutschland mit ihren Aktivitäten begonnen.
Apropos: Wie entwickelt sich das autonome Fahren im Silicon Valley?
Müller: Das autonome Fahren wird in den USA ziemlich gepusht. In dem Moment, wo das autonome Fahren sicherer wird als das herkömmliche, wird diese Technologie auch im Alltag ankommen – dann jedoch gänzlich ohne Fahrer. Im Silicon Valley geht man davon aus, dass dies bis ca. 2025 möglich sein sollte. Dadurch wird sich eine Menge ändern. So wird u. a. das Versicherungswesen auf Probleme stoßen, weil das autonome Fahren dann weniger Unfälle verursachen wird. Im Endeffekt kann es so weit gehen, dass vielleicht in Zukunft wir Transporteure nur mehr in einem sehr geringen Umfang (wenn überhaupt) noch notwendig sein werden, wenn autonome Fahrzeuge über Online-Plattformen organisierbar sind. Das wird dann sicherlich eine enorme Kostenersparnis bringen. Tesla will bis 2020 autonome E-Lkw auf die Straße bringen. Diesbezügliche Kooperationen gibt es für den Zustellverkehr für die Firmen Coca Cola bzw. Budweiser bereits jetzt. Während der Lkw-Beladung wird dann auch das Laden der Batterie erfolgen – so hat es der Entwickler vorgesehen.
Wie schaffen es die Unternehmen im Silicon Valley, die besten Köpfe zu bekommen und diese auch zu halten?
Müller: Um das zu erreichen, wird sehr viel in kostenlose Sozialleistungen für die Mitarbeiter investiert. So verfügt allein Google über fünf verschiedene Restaurants für seine Mitarbeiter, die dort gratis essen und trinken können. Im Silicon Valley würde es kein Mitarbeiter akzeptieren, wenn er für sein Mittagessen bezahlen müsste. Die Firmen organisieren auch (kostenlose) Shuttlebusse für die Mitarbeiter, die sie von zu Hause abholen und in die Arbeit fahren und vice versa. Das bestätigt auch meine Einstellung: Man muss alles tun, um Top-Mitarbeiter zu bekommen und diese zu halten. Auf diesen Bereich wollen wir auch weiterhin unseren Schwerpunkt legen.
Was hat Sie beim Firmenbesuch in der Google-Zentrale beeindruckt?
Müller: Google predigt seinen Mitarbeitern ihre sieben Grundregeln: Innovation kann von überall herkommen – unabhängig von Nationalität oder Rang im Unternehmen. Als Zweites ist ihnen ein möglichst rascher Produktverkaufsstart wichtig, auch wenn noch nicht alles bis ins Letzte ausgetestet ist – das unterscheidet sie von Apple, das erst dann mit einem Produkt an die Öffentlichkeit geht, wenn es zu 100 Prozent fertig entwickelt ist. Dann fördert Google außerdem den Mut zum Scheitern. Als Preis für den Wagemut erhält man ein Pinguin-Stofftier plus 1.000 US-Dollar. Es ist ein Symbol für jenen Pinguin, der bei Platzmangel auf der Eisscholle als Erster der Gruppe ins kalte Wasser springt. Scheitern wird als Lernerfahrung verstanden, um beim nächsten Mal erfolgreicher zu sein. Als Viertes sollten die Mitarbeiter 20 Prozent ihrer Arbeitszeit in anderen Abteilungen arbeiten, um den Horizont zu erweitern. Ein weiterer Punkt ist die Zehn-Prozent-Regel – wie man beispielsweise um zehn Prozent schneller von A nach B kommen kann. Was braucht es bzw. was müsste dafür entwickelt werden? Der sechste Punkt ist das Vertrauen in die Technik – wie z. B. selbstfahrende Autos. Abschließend sollte jeder Mitarbeiter die Vision des Unternehmens und auch seine eigene Vision kennen.
Was wollen Sie von den gesammelten Eindrücken in Ihrem Unternehmen nun umsetzen?
Müller: Obwohl ich ein ausgesprochener Fan von herkömmlichen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren bin, werde ich mir einen neuen Tesla-Pkw kaufen. Ich will mir dadurch den Spirit vom Silicon Valley täglich vor Augen führen. Die Gefahr besteht oft, dass man nach inspirierenden Reisen nach einiger Zeit dann wieder ins gewohnte Fahrwasser zurückkommt. Zusätzlich schleppen wir teilweise auch unseren Rucksack aus der Vergangenheit ständig mit uns mit. Wir – und auch alle Unternehmen hier in Europa – müssen uns ständig überlegen, wo wir mit unserem Unternehmen in der digitalen Welt einen Platz haben können. Wir müssen die Mitarbeiter breiter einsetzen und ihre Flexibilität steigern. Ein Kulturwechsel ist sicherlich sehr schwierig, aber mit viel Energie machbar. Das Ziel muss sein, unser Unternehmen für Mitarbeiter noch attraktiver zu machen. Ich möchte möglichst viel vom Silicon-Valley-Spirit behalten. Auch wenn ein Kunde einen ausgefallenen Wunsch hat, dies möglichst rasch und unbürokratisch lösen und versuchen, mich immer in die Position des Kunden hineinzuversetzen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview erschien ursprünglich in der Ausgabe VK 46/2019.