Wie Software im Bahnbereich Hardware ablösen soll, wurde in Norwegen vor ausgewählten Fachjournalisten präsentiert. Verkehr war als einziges Fachmedium vor Ort. | © Müller
Norwegens Bahn vollzieht derzeit eine umfassende Transformation – weg von der analogen Welt und hin zu einer digitalen Zukunft, in der Software das Sagen hat. Hardware tritt in den Hintergrund und wird sogar weitgehend obsolet, weil die Digitalisierung enorme Möglichkeiten bietet. Wie das funktioniert, präsentierte Siemens Mobility Ende Februar Fachjournalisten aus ganz Europa vor Ort in Norwegen.
Bane NOR, die Infrastrukturgesellschaft der norwegischen Bahn, rüstet bis 2034 das 4.200 Kilometer lange Streckennetz mit dem Zugbeeinflussungssystem ETCS Level 2 aus – Siemens Mobility fungiert dabei als Technologiepartner. Die Strecken werden mittels ausgeklügelter Software georedundant und somit ausfallsicher gesteuert. Das Ziel: Ein Land, ein Stellwerk. Wie das technisch funktioniert, war auf einer Bahnfahrt zwischen Oslo und Jaren zu besichtigen.
Nicht nur die Norweger setzen auf die digitale Zugzukunft, sondern auch die ÖBB. Die österreichische Bahn erteilte Siemens Mobility 2021 den Auftrag, bis 2038 insgesamt 3.700 Kilometer des ÖBB-Hochleistungsstreckennetzes mit ETCS Level 2 auszurüsten. Siemens Mobility liefert nicht nur die Technik, sondern ist danach für 25 Jahre für die Wartung des Systems verantwortlich.
Zukunft bereits Realität
Die Strecke Linz–Vöcklabruck ist seit 2023 bereits digitalisiert. Konkret bedeutet das, dass zugrelevante Daten von der ETCS-Streckenzentrale per GSM-R-Zugfunk an den Zug übertragen werden. Dazu braucht es Datenbalisen im Gleis, um die Position des Zuges zu bestimmen und unveränderliche Streckendaten weiterzuleiten. Das dazugehörige Stellwerk überträgt die Gleis-freimeldung und andere Informationen an das RBC (Radio Block Center). Dieses löst die Fahrgenehmigung aus und sendet sie an das Fahrzeug.
Die exakte High-Tech-Ortung der Fahrzeuge und die Mobilfunk-Kommunikation ermöglichen es, dass die Züge mit dem ETCS in engeren Abständen fahren. Dadurch können mehr Passagiere und Fracht in kürzerer Zeit transportiert werden. In Österreich ist der Software-Anteil im Vergleich zu Norwegen noch höher, was den technischen Standard noch weiter anhebt. Die Lösung heißt: DS3-Plattform und cloudbasierte Signaltechnik.
Software-Updates aus der Ferne
Eine bedeutende Innovation in der Zusammenarbeit von Siemens Mobility und ÖBB ist der Einsatz der DS3-Plattform, die seit November 2020 in einem Pilotprojekt im Stellwerk am Bahnhof Achau im Einsatz ist. DS3 steht für „Distributed Smart Safe System“ und dient der Migration bestehender Anwendungen (z. B. ETCS oder Stellwerk) auf eine standardisierte Hochleistungsplattform auf Basis handelsüblicher Computer. Diese nutzen Multicore-Technologie und ein neues Kommunikationskonzept für eine vollständig IP-basierte Systemarchitektur.
Durch DS3 können die ETCS-Zentralen weiter optimiert und flexibler gestaltet werden. In der erwähnten Partnerschaft werden neben dem jetzt auf der DS3-Plattform laufenden Koppelrechner – der das Verbindungsstück zu den Stellwerken darstellt – künftig auch die gesamten RBCs auf DS3 verlagert.
Mit dieser innovativen Technologie löst sich die Bahn von dem bisherigen Grundsatz, dass bahnspezifische Software immer an bahnspezifische Hardware wie elektronische Stellwerke gebunden ist. Vereinfacht gesagt, ist DS3 ein Betriebssystem, das gegenüber der Bahn-Software vorgibt, eine Bahn-Hardware zu sein. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die spezielle, kostenintensive Hardware kann durch handelsübliche leistungsfähige Server ersetzt werden – das steigert die Wirtschaftlichkeit deutlich.
Auch das Obsoleszenz-Management für einzelne Baugruppen entfällt. Anpassungen am Streckennetz – etwa die Einbindung einer neuen Weiche oder eines Anschlussgleises – sind in kürzester Zeit mittels Software-Update aus der Ferne realisierbar. Die Strecke bleibt dadurch, anders als bisher, nur für kurze Zeit außer Betrieb. Aufgrund des hohen Software-Anteils ist Georedundanz leicht und wirtschaftlich umsetzbar – das sorgt für höchste Ausfallsicherheit.
Steigerung der Leistungsfähgkeit
DS3 sorgt dafür, dass die für den Betrieb notwendige Software und deren Prozesse auf beliebigen Servern gesichert in Rechenzentren laufen. Auf diesen Servern werden parallel auch Fahrplansysteme, die Zuglenkung und Diagnosesysteme betrieben, was die Wirtschaftlichkeit dieser digitalen Lösung deutlich erhöht. „Diese Technologie wird das österreichische Bahnnetz signifikant leistungsfähiger machen. Gerade durch Österreichs Lage in Zentraleuropa und den damit verbundenen, von unterschiedlichsten internationalen Personen- und Güterverkehrsunternehmen genutzten Verkehren ist eine deutlich höhere Kapazität und Performance sowie ein stark steigender Modal-Split-Anteil gefordert“, betont Siemens-Mobility-Pressesprecher Michael Braun gegenüber Verkehr.