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Logistik beim weltgrößten Opel-Motoren-Werk

Logistik-Anwender im Interview: Marcus Bähr, Supply Chain Manager des Opel-Motoren- und Getriebewerks in Wien/Aspern, transportiert 70 Prozent mit der Bahn.

Verkehr: Mit welchen Herausforderungen haben Sie in Ihrer Logistik zu tun?
Marcus Bähr: Seit 2010 haben wir neue Kunden gewonnen und nun 22 Überseedestinationen, die wir mit rund 30 Prozent unseres Produktionsvolumens beliefern. Unser Produktionsprogramm hat sich dadurch massiv geändert. Wir fertigen nun rund 260 verschiedene Motor- und Getriebetypen. Früher waren es rund 100. Die gesamte Produktions- und Logistikplanung ist dadurch komplexer geworden. Ein Getriebe hat rund 230 Einzelteile,  ein Motor rund doppelt so viel. Die überseegerechte Verpackung und der steigende Administrationsaufwand (vor allem Zollformalitäten) sind weitere Herausforderungen.

Wird die Diversifikation in der Produktion noch weiter ansteigen?
Bähr: Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden zwei bis drei Jahren sicher auf über 300 Varianten kommen werden, weil unsere Produkte in noch mehr unterschiedlichen Automodellen verbaut werden. Das steigert dann natürlich auch wieder die Komplexität in unserer Logistik. 

Einige Firmen haben die Verpackung ihrer Produkte ausgelagert. War das bei Ihnen auch schon einmal ein Thema?
Bähr: Wir hatten die Verpackung sogar schon einmal ausgelagert. Dann haben wir uns aber aus Kostengründen wieder entschieden, es selbst zu machen. Wir entwickeln und testen unsere Verpackungen auch selbst.
 
Wie kann man sich den Bestellvorgang eines Motors von einem Opel-Werk in Deutschland vorstellen?
Bähr: Unsere Automobilwerke im Konzern haben immer für rund vier Wochen  Aufträge im Haus. Dementsprechend wissen wir heute, was wir in vier Wochen produzieren wollen. Je näher dann der Termin herankommt, desto genauer wird die Planung. 

Gab es in letzter Zeit bei Ihnen größere Investitionen die Logistik betreffend?
Bähr: Wir haben in den letzten Jahren viel Energie in die Verbesserung unserer Inbound-Logistik investiert. Durch die globale Vernetzung und die globale Produktion wird die Supply Chain immer komplexer, um die Anlieferungen just in time sicherzustellen. Hier haben wir in den letzten beiden Jahren unsere Methoden komplett umgestellt. Wir hatten das früher klassisch organisiert: Lieferant bekommt einen Auftrag, der weiß dann, dass er diese Woche 5.000 Teile erzeugen muss, dann bestellt er beim Gebietsspediteur Frachtraum für die Auslieferung an Opel. Der Spediteur holt die Produkte vom Lieferanten ab und liefert sie uns. Das Problem dabei war, dass es immer wieder zu Störungen kam. Wir hatten den Prozess nicht zu 100 Prozent unter Kontrolle. Wir haben nun auf sogenannte pick-up sheets umgestellt. Das bedeutet, dass wir eine komplette Routenplanung für unsere Anlieferungsteile durchführen. Wir wissen, von welchem Spediteur die Anlieferteile abgeholt werden. Dementsprechend planen wir schon vor, auf welchen Lkw das Material in welcher Kombination kommt. Wir sagen dem Lieferanten „am kommenden Montag zwischen 8 und 10 kommt der Lkw und holt das Material ab“. 

Inwieweit spielt dabei Just-in-sequence in Ihrer Produktion eine Rolle?
Bähr: Das machen wir nicht. Wir haben just in time, weil wir zum Beispiel bei den Getrieben sehr viele Rohteile angeliefert bekommen und wir noch eine Reihe von Fertigungsschritten selbst durchführen müssen. Alle großvolumigen Teile gehen durch unseren Fertigungsprozess. Für unsere Kleinteile wie Schrauben und Muttern zahlt sich just in sequence nicht aus.

Führen Sie die Bevorratung der C-Teile selbst durch? Einige Produktionsfirmen haben dies outgesourct.
Bähr: Wir führen das selbst durch und bestellen diese Teile auf Tagesbasis. Von den Schrauben und Muttern und dergleichen haben wir in der Regel nie mehr als einen 3- bis 5-Tagesbedarf auf Lager. Wir haben eine relativ kleine Anzahl von Kleinteilen, die wir selbst besser managen können. Dafür brauchen wir sie in sehr hohen Stückzahlen. 

Wie hoch sind derzeit Ihre durchschnittlichen Logistikkosten?
Bähr: Wir werden vom Konzern mit dem Material versorgt und sind eigentlich eine Lohnfertigung. Aus diesem Grund hat diese Kennzahl für uns keine Bedeutung. 

Wie sieht der Modal-Split in der Belieferung Ihrer Kunden aus?
Bähr: Für die Belieferung innerhalb Europas gehen rund 70 Prozent des Volumens mit der Bahn und der Rest mit dem Lkw zu unseren Kunden. Die Überseekunden werden zu nahezu 100 Prozent über den Wiener Hafen, mit der Bahn, die dann zu den Häfen fährt, beliefert. In den nächsten ein bis zwei Monaten werden wir direkt ab Werk die Beladung der Bahn mit unseren Seecontainern durchführen. Der bisherige Lkw- Transport zum Wiener Hafen kann dann entfallen. In Summe verlassen dann rund 85 Prozent unserer Produkte das Werk mit der Bahn – das sind rund zwei bis drei Ganzzüge pro Woche. Im letzten Jahr hatten wir gesamt rund 2.000 Seecontainer abgefertigt.  

Wo sehen Sie noch weiteren Optimierungsbedarf?
Bähr: Die synchronisierte Produktion ist mein Ziel, damit wir zu 100 Prozent in sequence unsere Kunden beliefern können. In der eigenen Fertigung ist das nicht flächendeckend umsetzbar, da wir bestimmte Losgrößen und Rüstzeiten haben. Die Zuführung der Montage muss eine Batchproduktion bleiben. Eine Erhöhung der Flexibilität würde sehr viel Geld kosten. 

Holen Sie sich für Ihre Logistikplanung auch externes Know-how?

Bähr: In einigen Fällen arbeiten wir mit Hochschulen zusammen. Die Technologien sind ja in den Fahrzeugmontagewerken zu 100 Prozent vorhanden. Es gilt nun dieses Know-how auch für uns verstärkt zu nützen. Man darf sich ab und zu nicht zu fein sein, Copy & Paste zu machen. Man muss nicht immer alles neu erfinden. 

Ihre Meinung zur österreichischen Verkehrspolitik?
Bähr: Herausfordernd wird die geplante Seestadt in Aspern sein. Es ist das größte Stadtentwicklungsprojekt Europas und kann auch für uns Vorteile bringen, weil neue Straßen geplant sind. Es muss aber sicherlich über Lösungen für Anrainer nachgedacht werden, weil wir relativ viele Lkw-Anlieferungen haben. Gespräche mit der Stadt Wien gibt es schon. Wir sind halt schon 30 Jahre hier. 

Was sind für Sie die wichtigsten Erfolgsfaktoren in der Logistik?
Bähr: Flexibilität und Proliferation müssen deine Freunde sein. Es ist auch wichtig, sich immer wieder Gedanken über die Vereinfachung von Prozessen zu machen. Man braucht auch gut ausgebildete Mitarbeiter, die das alles beherrschen. 

Welche Themen werden Ihrer Meinung nach in der Logistik in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen?
Bähr: Ich glaube, dass das Thema RFID noch sehr spannend wird. Hier steckt noch viel Potenzial.

Wir bedanken uns für das Interview!

Autor: Bernd Winter


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